Stadtlexikon Darmstadt

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Stadtgeschichte

Am Anfang der Geschichte DAs stand eine kleine dörfliche Siedlung, die erstmals Ende des 11. Jahrhunderts als „darmundestat“ (Darmstadt) namentlich erwähnt wurde und 1211 bereits „darmenstat“ hieß. Der Ort entwickelte sich aus zwei Siedlungskernen, einem älteren östlich des Darmbachs und einem jüngeren um Marktplatz und Stadtkirche. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichteten die Grafen von Katzenelnbogen auf der Grundlage eines älteren befestigten Wohnsitzes, vermutlich eines Jagdhauses, eine Wasserburg, die den nördlichen Teil der als Verkehrsweg viel genutzten Bergstraße und damit den Verkehr zwischen Heidelberg und Frankfurt/Main kontrollierte. Kaiser Ludwig der Bayer verlieh Graf Wilhelm I. von Katzenelnbogen zum Dank für treue Dienste am 23.07.1330 das Stadtrecht für seinen Ort DA. Dies bedeutete vor allem das Recht, eine Mauer zu errichten und einen Markt abhalten zu dürfen. Die in den folgenden Jahrzehnten entstandene Stadtmauer, von der Reste erhalten sind, kennzeichnet den Umfang der Stadt bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.

Innerhalb der Mauern lebten im Mittelalter kaum mehr als 1.000-1.500 Einwohner. Grundbesitz in der Stadt hatten neben den Katzenelnbogener Stadtherren die Mönche des Zisterzienserklosters Eberbach. Die fälligen Zins- und Pachtabgaben an Eberbach mussten die Darmstädter auf dem westlich der Stadt gelegenen Eberbacher Wirtschaftshof Gehaborn abliefern. Obwohl DA als Handelsplatz von nun an eine Mittelpunktfunktion erfüllte, bewahrte es den Charakter einer Ackerbürgerstadt, deren Bewohner hauptsächlich von der Land- und Forstwirtschaft und vom Weinbau lebten. Der einzige Platz, gleichzeitig Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens, war der Marktplatz, an dessen Rand das 1397 erstmals erwähnte Rathaus lag. 1369 wurde DA nach Herauslösung aus der Pfarrei des Nachbardorfs Bessungen zur selbstständigen Pfarrei, die Marienkapelle zur Stadtkirche.

Eine Stadtverwaltung im modernen Sinne gab es noch nicht. Die alte Dorfverfassung mit dem Schultheißen als Vertreter des Landesherrn an der Spitze, der mithilfe eines Schöffenkollegiums aus Darmstädter Bürgern die Geschicke der Stadt leitete, bestand fort. Ein wenig von dem glanzvollen Leben der Grafen von Katzenelnbogen, die meist auf Burg Rheinfels bei St. Goar residierten, strahlte auch auf ihre Nebenresidenz DA aus. 1385 nahm Gräfin Else von Katzenelnbogen hier ihren Witwensitz und begründete erstmals eine fürstliche Hofhaltung. 1422 wurde mit großem Prunk die Hochzeit Graf Philipps von Katzenelnbogen mit der ebenso reichen Anna von Württemberg in DA gefeiert. Als Philipp 1479 ohne männliche Erben starb, fiel seine Grafschaft an die Landgrafen von Hessen. DA geriet damit ganz an den Rand des hessischen Territoriums. Zwar bildete die Obergrafschaft Katzenelnbogen, zwischen Rüsselsheim und Auerbach sowie zwischen Rhein und Odenwald gelegen, weiterhin einen selbstständigen Verwaltungsbezirk, aber die neuen Herren vernachlässigten ihr am weitesten von der Residenz Kassel entferntes Herrschaftsgebiet. Das Darmstädter Schloss verfiel. Die Amtleute schalteten und walteten nach Gutdünken. Land- und Forstwirtschaft erlebten einen Niedergang. Rechtsunsicherheit und Schutzlosigkeit des Landes ließen viele Streitigkeiten entstehen. 1518 überzog der Reichsritter Franz von Sickingen in seiner Fehde mit Landgraf Philipp dem Großmütigen die Obergrafschaft mit Krieg und plünderte Bessungen, Arheilgen, Pfungstadt, Griesheim u. a. Orte der Umgebung. Die Belagerung DAs gab er nur gegen Zahlung von 35.000 Gulden Brandschatzung auf. Schlimmer als beim Einfall Sickingens erging es DA und Umgebung im Jahr 1546, als Philipp der Großmütige als Anführer einer ev. Fürstenopposition für seine Teilnahme am Aufstand gegen Kaiser Karl V. bestraft wurde. Der kaiserliche General Maximilian von Büren erschien mit 3.000 Reitern und 6.000 Mann Fußvolk vor DA. Die Stadt wurde teilweise niedergebrannt und geplündert, das Schloss vollständig eingeäschert. Zu den wenigen positiven Ereignissen dieser Zeit mit gesellschaftlichen Auswirkungen für ganz Hessen gehörte die Reformation, die Landgraf Philipp im Jahre 1526 einführte (Kirchengeschichte).

Darmstadt wird Residenz
Einen Neubeginn und ihre erste Blütezeit erlebte die Stadt, als zunächst 1560 bis 1567 Landgraf Ludwig IV. und ab 1567 Georg I., der als jüngster Sohn Landgraf Philipps die alte Obergrafschaft Katzenelnbogen erbte, DA zur Residenz erhoben. Der ständig präsente Hof und die Beamtenschaft prägten von nun an entscheidend die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung. Das Gesicht der Stadt änderte sich nachhaltig. Georg I. vollendete den Neubau des Renaissanceschlosses (Schloss), dessen Reste im Altschloss heute noch zu sehen sind, und ließ 1580 den Herrngarten neu anlegen, der im 17. Jahrhundert zu einem Barockgarten und 1766 zu einem englischen Landschaftsgarten umgestaltet wurde. Die Stadt sprengte ab 1590 erstmals ihre mittelalterlichen Mauern durch die Anlage der Alten Vorstadt, in der Wohnraum für Hofbeamte und neu zuziehende Handwerker geschaffen wurde. Georg I. verbesserte die städtische Wasserversorgung und vollendete den vermutlich bereits von Ludwig IV. begonnenen Großen Woog. Am Marktplatz, der durch Abriss eines Häuserblocks erweitert wurde, errichtete die Stadt als Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins 1566/68 ein neues Rathaus.

Die erste Blüte der jungen Hauptstadt wurde durch die Leiden und Nöte des Dreißigjährigen Krieges jäh unterbrochen. Nachdem man den Einfall der kaiserlichen Truppen des Grafen Mansfeld 1622 noch relativ glimpflich überstanden hatte, folgte für DA eine kurze Phase der Erholung. Anlass dazu waren die Gebietserweiterungen, die der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt nach dem Aussterben der Linie Hessen-Marburg vom Reichshofrat im Jahr 1623 zugesprochen worden waren. Um die neu hinzugewonnenen Gebiete in die bestehende Verwaltungsorganisation einzubinden, ließ Georg II. 1626 bis 1629 ein neues Kanzleigebäude errichten. Auch der Bau des Pädagogs (1627-29) und des neuen Turms der Stadtkirche (1628-31) sowie die Vollendung der Alten Vorstadt fielen in diese Jahre. Ab 1631 ließen Truppendurchmärsche, Einquartierungen und Plünderungen den Krieg zurückkehren, brachten vor allem aber die Pest, der alleine 1635 über 2.000 Menschen zum Opfer fielen. Von den Verheerungen des bis 1648 dauernden Kriegs erholte sich die Stadt erst nach Jahrzehnten.

Mit Landgraf Ernst Ludwig (1688-1739) hielt der Barock Einzug in DA. Er plante, ab 1715 unterstützt durch Land- und Hofbaumeister Louis Remy de la Fosse, mehrere ehrgeizige Bauvorhaben, um DA in eine prunkvolle Barock-Residenz zu verwandeln. 1695 legte er den Grundstein zur großen Stadterweiterung nach Westen, es entstanden die obere Rheinstraße bis zum späteren Luisenplatz und die Luisenstraße sowie die Ostseite des späteren Mathildenplatzes. Aus Geldmangel mussten jedoch die Bauarbeiten in der Neustadt ebenso eingestellt werden wie der nach einem Brand 1715 begonnene Neubau des Schlosses, von dem bis 1727 nur zwei Flügel im Rohbau fertig gestellt waren. Von der gleichzeitig begonnenen Orangerie in Bessungen konnte ebenfalls nur der Westflügel vollendet werden. Daneben galt Ernst Ludwigs große Leidenschaft dem Theater. Die alte Reithalle, auf dem Gelände der heutigen TU Darmstadt am Herrngarten gelegen, wurde seit 1670 ständig für Theateraufführungen genutzt und war eines der frühesten festen Theater Deutschlands (Barocktheater). Ernst Ludwig holte 1709 den Komponisten Christoph Graupner als Kapellmeister nach DA und verpflichtete ein festes Ensemble, das jedoch bereits 1718 wieder entlassen werden musste.

Eine weitere Liebhaberei Ernst Ludwigs war die seit 1708 betriebene Parforcejagd, die auch sein Sohn Ludwig VIII. (1739-1768) fortführte. Für dieses sehr kostspielige Jagdvergnügen wurden die Wälder DAs mit breiten Schneisen durchzogen und Jagdhäuser errichtet. Die Jagd verursachte enorme Flurschäden und war deshalb bei der Bevölkerung verhasst. Der Tod Ludwigs VIII. brachte 1768 ihr abruptes Ende (Jagdgeschichte). Landgraf Ludwig IX. (1768-1790) sanierte die von seinen Vorgängern zerrütteten Staatsfinanzen und reformierte auch die Stadtverwaltung. Ausgeführt wurden seine rigorosen Reformen von Minister Friedrich Carl von Moser, der 1773 am späteren Luisenplatz als Sitz der Landesbehörden das Kollegiengebäude errichten ließ, das in seiner wieder aufgebauten Form heute Sitz des Regierungspräsidiums ist. Moser ließ als Grundlage seines Reformwerks die nach ihm benannten Moser’schen Tabellen aufstellen, das erste verlässliche statistische Werk Hessen-Darmstadts. Die Hauptstadt hatte danach 1777 genau 9.038 Einwohner. Der Landgraf selbst residierte meist in seiner Garnison Pirmasens, wo er seine Truppen nach selbst komponierten Märschen exerzieren ließ, kümmerte sich aber durchaus auch um die Landesverwaltung, ließ die ersten modernen Chausseen bauen, z. B. die Landstraße südlich und nördlich von DA. Er sorgte für die Verminderung des Wildbestands, hob die Folter auf und gründete die Hessische Brandversicherungskammer. Seine Gattin Karoline Henriette leitete den Darmstädter Hof. In die Geschichte ging sie als die „Große Landgräfin“ ein, weil sie ab 1771 eine Reihe von Musikern und Dichtern um sich versammelte, den Kreis der Empfindsamen, dessen treibende Kraft neben Karoline der Darmstädter Kriegsrat Johann Heinrich Merck war, der Goethes „Götz von Berlichingen“ 1771 in DA herausbrachte.

Darmstadt im Großherzogtum Hessen
Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert brachte für die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt und für die Hauptstadt einen größeren Entwicklungsschub als die Residenzerhebung 1567. Die territorialen Umwälzungen der napoleonischen Zeit, die mit der Säkularisation 1802/03 einsetzten und über die Gründung des Rheinbunds und das Ende des Alten Reichs 1806 bis zum Wiener Kongress 1824 führten, hatten aus der kleinen Landgrafschaft das auf mehr als das Doppelte seines ursprünglichen Territoriums angewachsene Großherzogtum Hessen mit der neuen Provinz Rheinhessen entstehen lassen. Landgraf Ludwig X. (1790-1830) nannte sich fortan „Großherzog Ludewig I. von Hessen und bei Rhein“. Die Hauptstadt erhielt eine neue Bedeutung als Verwaltungssitz eines beträchtlich vergrößerten souveränen Staats. Hof und Beamtenschaft wuchsen und benötigten größere Verwaltungs- und Gerichtsgebäude und standesgemäße Wohnungen. Für die Truppen der neuen Garnison, zeitweise über 3.000 Mann, mussten Kasernen errichtet werden. Die Einwohnerzahl stieg von knapp 10.000 zur Jahrhundertwende auf etwa 25.000 im Jahr 1830. Diesem Zuwachs konnte nur mit einer groß angelegten Stadterweiterung begegnet werden, die der 1810 nach DA berufene Architekt Georg Moller in enger Zusammenarbeit mit dem Großherzog ins Werk setzte. Es entstand in wenigen Jahrzehnten eine ganz neue Stadtanlage im Westen (Mollerstadt), welche die alte Stadt an den Rand drängte und das Zentrum DAs an den neuen, nach Großherzogin Luise benannten Platz verlegte. Als Denkmal der ersten hessischen Verfassung, welche die Stände dem Großherzog 1820 abgerungen hatten, erhebt sich auf dem Luisenplatz das 1844 errichtete Ludwigsmonument. Als Geschäftsviertel und als Verknüpfung von Alt- und Neustadt legte Moller um 1825 die Ludwigstraße und den Ludwigsplatz an, auf dem seit 1906 das Bismarck-Denkmal steht. In den hinter dem Marktplatz gelegenen Gärten entstand ab 1863 die Ernst-Ludwig-Straße.

Entscheidend geprägt wurde die Darmstädter bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts durch die in der Tradition des aufgeklärten Absolutismus stehende Kunst- und Kulturpolitik Ludewigs I. Moller errichtete das 1819 eingeweihte neue Hoftheater, das mit einer Kapazität von rund 2.000 Plätzen für breitere Bevölkerungskreise gedacht war. Der Großherzog öffnete 1817 die Hofbibliothek (Universitäts- u. Landesbibliothek) und 1820 die großherzoglichen Sammlungen (Hessisches Landesmuseum DA) für die Allgemeinheit – bereits seit 1802 war der Herrngarten allgemein zugänglich –, reformierte die Stadtverwaltung durch die hessische Gemeindeordnung von 1821 und das Schulwesen durch die Einführung der Realschule 1821/22. Bereits 1790 hatte er die kath. Gemeinde wieder zugelassen, für die Moller 1822 bis 1827 die Kirche St. Ludwig erbaute. Mit dem Tod Ludewigs I. setzte unter seinem schwachen Nachfolger Ludwig II. und dessen Staatsminister Carl Wilhelm du Bos du Thil eine Phase der politischen Restauration ein. Bekanntestes Opfer der neuen Politik war der Darmstädter Arztsohn Georg Büchner, der erst viel später als großer Dichter auch in DA zu Ruhm und Ehren kommen sollte. Er gründete hier 1834 eine Sektion der revolutionären „Gesellschaft der Menschenrechte“ und gab den „Hessischen Landboten“ heraus, in dem er vor allem auf das starke soziale Gefälle zwischen der Bevölkerung der wohlhabenden Residenz und dem erbärmlichen Leben der Landbevölkerung aufmerksam machte. Der Verfolgung und drohenden Verhaftung entzog er sich 1835 durch die Flucht nach Straßburg.

Die politischen Diskussionen und Agitationen, die wegen der scharfen Zensur und Überwachung in unverdächtigen Turn- und Gesangvereinen stattfanden, verschafften sich unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 in Forderungen nach Pressefreiheit, Volksbewaffnung und Strafrechtsreform Luft (Revolution 1848/49). Ludwig II. entließ schließlich Minister du Thil und berief seinen Sohn Ludwig III. zum Mitregenten, der am 05.03.1848 den politischen Forderungen nachgab. Die revolutionären Ereignisse der kommenden zwei Jahre führten in DA, wie andernorts auch, zu einer obrigkeitsstaatlichen Reaktion, welche die neuen Freiheiten wieder abschaffte und zum Teil sogar hinter die Errungenschaften des Vormärz zurückfiel.

Industrialisierung und Stadtausbau
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts stand in DA ganz im Zeichen einer stürmischen Industrialisierung, die von weit reichenden Maßnahmen der Infrastruktur wie der Eröffnung mehrerer Eisenbahnlinien (Eisenbahn, Bahnhöfe), der Einführung der neuen Energieformen Gas und Strom sowie einer zentralen Wasserversorgung begleitet wurden. Hinzu kamen weitreichende städtebauliche Maßnahmen. In den folgenden drei Jahrzehnten gründeten sich viele neue Fabriken, darunter noch heute klangvolle Namen wie Merck, Goebel (Maschinen- u. Apparatebau) und Schenck. Einen für Jahrzehnte bedeutenden Darmstädter Industriezweig stellte auch die Möbelindustrie dar. Den wachsenden innerstädtischen Verkehrsproblemen begegnete man 1886 mit der Einrichtung der Dampfstraßenbahn (Straßenbahn), welche die Vororte Arheilgen, Eberstadt und Griesheim mit DA verband und das tägliche Einpendeln der Industriearbeiter ermöglichte. Ab 1897 wurde das steigende Verkehrsaufkommen in der Innenstadt durch die elektrische Straßenbahn bewältigt. Auch auf dem Bildungssektor trug man der Entwicklung Rechnung. Zur bereits 1821/22 errichteten Real- und Technischen Schule kam 1836 eine Höhere Gewerbeschule hinzu, die 1868 zur Polytechnischen Schule und 1877 schließlich zur Technischen Hochschule (TU Darmstadt) erhoben wurde. Ebenfalls in das Jahr 1836 datiert die Gründung des Gewerbevereins für das Großherzogtum Hessen.

Im Zuge der Industrialisierung ist noch einmal ein sprunghafter Bevölkerungsanstieg zu verzeichnen. Von rund 32.500 Darmstädtern im Jahr 1861 über knapp 40.000 (1871) und 56.500 (1890) stieg die Zahl der Einwohner auf 72.300 zur Jahrhundertwende und auf fast 88.000 im Jahr 1907. Umfangreiche städtische Bauplanungen waren die Folge. In wenigen Jahrzehnten entstanden neue Wohnviertel mit Mietwohnungen wie das Johannesviertel (ab 1871) und das Martinsviertel (seit etwa 1880), nach der Jahrhundertwende das Paulusviertel im Südosten und die Gartenvorstadt am Hohlen Weg (Komponistenviertel). Leidtragende der Entwicklung waren die Bewohner der Altstadt, des alten Stadtkerns, die zunächst zum Wohnviertel der kleinen Handwerker und Tagelöhner, gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend zum Viertel der Industriearbeiter wurde.

Der letzte Darmstädter Großherzog Ernst Ludwig (1892-1918) war ebenso wie sein Vorfahre Ludewig I. durch Neigung und Begabung mit den Künsten verbunden. Auch er beteiligte sich persönlich am Theaterbetrieb. In die ersten Jahre seiner Regierung fiel auch der repräsentative Neubau der Technischen Hochschule am Herrngarten. Die entscheidende Bedeutung Ernst Ludwigs für die Kunst liegt jedoch in der 1899 erfolgten Berufung von sieben Künstlern, darunter der Wiener Architekt Joseph Maria Olbrich, nach DA und die Gründung einer Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe, mit der er in DA völlig neue Wege beschritt. Es war der Versuch, durch Übernahme und bewusste Weiterentwicklung kunsthandwerklicher Reformbestrebungen Kunst und Gewerbe, Künstler und Handwerker enger zusammenzuführen und ihre Arbeit miteinander zu verknüpfen. Die erhoffte Breitenwirkung und Ausstrahlung dieser Konzeption wurde jedoch nicht erreicht. Die Formensprache des Jugendstils beeinflusste auch die Darmstädter Baumeister und Architekten. Ihre repräsentativen Bauten, die fast alle noch heute Akzente im Stadtbild setzen, weisen häufig Jugendstilelemente auf: die Maschinenhalle der TH von Georg Wickop (1908), die Pauluskirche (1907) von Friedrich Pützer, von dem auch das Hauptgebäude der Merck’schen Fabrik und der Hauptbahnhof stammen, sowie das Zentralbad von August Buxbaum (1909).

Erster Weltkrieg und Weimarer Republik
Der Erste Weltkrieg, an dessen Ende die Stadt 2.000 Gefallene zu beklagen hatte, unterbrach die Aufwärtsentwicklung DAs. Die politischen Umwälzungen bei Kriegsende mündeten in die Absetzung des Großherzogs und in die Begründung einer von den demokratischen Kräften Hessens begrüßten Republik. Am 09.11.1918 wurde die „freie sozialistische Republik Hessen“ ausgerufen, aus der mit der Verabschiedung der Verfassung am 12.12.1919 der Volksstaat Hessen hervorging. Die Zeit der Weimarer Republik ist in DA geprägt durch die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des Ersten Weltkriegs. Die französische Besatzungszone des Brückenkopfs Mainz reichte bis Arheilgen und Griesheim und erschwerte den wirtschaftlichen Neubeginn ebenso wie der Wegfall von Hof und Garnison. Ausgewiesene und Flüchtlinge aus dem besetzten Gebiet und zurückkehrende Soldaten sorgten für einen großen Mangel an Wohnraum. Die Stadtverwaltung versuchte mit mehreren Straßen- und Wohnungsbauprogrammen, bei denen hauptsächlich Notstandsarbeiter eingesetzt wurden, der schwierigen Lage Herr zu werden. Wohnblocks und Siedlungshäuser entstanden in großer Zahl im Westen und Südwesten der Stadt in der Waldkolonie, entlang der Bahnstrecke am Haardtring und auf der aufgelassenen Trasse der Odenwaldbahn, dem heutigen Rhön- und Spessartring. An der Lichtwiese wurden 1929 das neue Hochschulstadion und bereits einige Jahre früher (1924/25) der Darmstädter Verkehrsflughafen (Flugplätze) eröffnet.

Darmstadt im Nationalsozialismus
Inflation, Weltwirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit, die weit über dem Reichsdurchschnitt lag – 1930 waren in DA 21.000 Menschen ohne Arbeit –, sorgten für eine Destabilisierung der politischen Verhältnisse. Bereits seit 1929 saßen Mitglieder der NSDAP in der Darmstädter Stadtverordnetenversammlung. Die politischen Auseinandersetzungen nahmen an Heftigkeit zu. Am 05.03.1933 wählten 50 Prozent der Darmstädter die Partei Adolf Hitlers. Einen Tag später wehte die Hakenkreuzfahne als Zeichen der Machtergreifung über dem Landtagsgebäude am Luisenplatz (Nationalsozialismus). Zwei Wochen später wurde erstmals die Schließung jüdischer Geschäfte verfügt. Der hessische Innenminister Wilhelm Leuschner, der Darmstädter Reichstagsabgeordnete Carlo Mierendorff und weitere Regimegegner wurden inhaftiert. Durch Verfügung des Reichsstatthalters Jakob Sprenger wurden die Vororte Arheilgen und Eberstadt – gegen den Willen der dortigen Verwaltung und Bürgerschaft – zum 01.04.1937 nach DA eingemeindet, das damit zur Großstadt mit 110.738 Einwohnern wurde. Ein Jahr später war die Stadt auch kreisfrei. Kurz darauf brannten die Nationalsozialisten die Synagogen in DA und Eberstadt nieder. Rund 3.000 Juden aus DA und Hessen wurden in drei Transporten 1942 und 1943 nach Auschwitz, Theresienstadt und in andere Lager deportiert. Zu dieser Zeit hatte die Stadt bereits die ersten alliierten Bombenangriffe erlitten und die ersten Todesopfer zu beklagen. In der Nacht vom 11./12.09.1944 wurde DA durch englische Bomber fast völlig zerstört. Über 11.000 Menschen starben (Brandnacht).

Wiederaufbau und Wirtschaftswunder
Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 25.03.1945 und dem Ende des Dritten Reichs begann unter großen personellen und materiellen Schwierigkeiten der Aufbau einer Verwaltung mit dem Rechtsanwalt Ludwig Metzger als OB an der Spitze. Große Anstrengungen mussten unternommen werden, um die Ernährung und Versorgung der Bevölkerung – noch gut 50.000 Menschen – sicherzustellen und die Räumung von ca. 3 Millionen cbm Trümmerschutt aus den Straßen zu organisieren (Trümmerräumung). Erst nach der Währungsreform 1948 kam der Wiederaufbau der Stadt in Gang. Seit 1949 entstanden am Stadtrand neue Wohnsiedlungen, hauptsächlich für Vertriebene aus dem Osten, geplant und mit tätiger Selbsthilfe der neuen Bewohner errichtet. Ebenfalls 1949 begann die von dem Architekten Kurt Jahn gemeinsam mit der Stadt getragene Wiederaufbau GmbH mit der Ansiedlung von Betrieben der „rauchlosen Industrie“ auf dem Gelände des ehemaligen Exerzierplatzes und der umliegenden Kasernen. Bis 1959 gelang die Ansiedlung von etwa 170 Verlagen, Druckereien, Nahrungsmittel- und Kosmetikbetrieben mit insgesamt 10.000 neuen Arbeitsplätzen.

Vor allem aber der schnelle „kulturelle Wiederaufbau“ half DA über den in vielen Augen drohenden Identitätsverlust hinweg, denn die Stadt hatte zusätzlich zur schweren Zerstörung auch den Verlust der Hauptstadtfunktion und die Abwanderung der Regierungsbehörden nach Wiesbaden zu verkraften. Der schnellen Wiedereröffnung des Landestheaters (s.a. Staatstheater) und der TH Darmstadt folgte 1946 die Gründung der „Ferienkurse für neue Musik“ (Internationale Ferienkurse, Musikgeschichte). Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die alljährlich mit dem Georg-Büchner-Preis den bedeutendsten deutschen Literaturpreis vergibt, nahm ihren Sitz 1951 ebenso in DA wie das deutsche P.E.N.-Zentrum. Aufsehen erregten die seit 1950 veranstalteten Darmstädter Gespräche. Dass die Darmstädter das Feiern nicht verlernt hatten, zeigte das 1951 als Identität stiftende Maßnahme begründete und seitdem jährlich veranstaltete Heinerfest. 1955 konnten die Darmstädter vor dem wieder aufgebauten alten Rathaus die 625-Jahr-Feier der Stadtgründung begehen.

Die rund drei Jahrzehnte nach 1950 sind gekennzeichnet durch den nahezu vollständigen Wiederaufbau der Stadt in Verbindung mit einer ausgedehnten Verkehrsplanung und Stadterweiterung. Bis 1954 waren bereits fast 24.000 neue Wohnungen entstanden. 1959 gab es in DA 1.400 Baustellen. Neue Wohnsiedlungen entstanden, z. B. an der Unteren Rheinstraße, der westlichen Bessunger Straße, in mehreren Abschnitten im Süden und Nordwesen Eberstadts und im Südosten und Westen Arheilgens. Entlang der Roßdörfer und der verkehrsreichen Heinrichstraße schob sich das Ostviertel immer weiter Richtung Botanischer Garten und Lichtwiese vor. Das größte Siedlungsprojekt bildete ab 1969 die Gründung des neuen Stadtteils Kranichstein. Das Verkehrskonzept sah den autogerechten Ausbau der Hauptverkehrsstraßen und ein Netz von Seitenstraßen vor. Rheinstraße und Landgraf-Georg-Straße als Verbindung von der Autobahn zur B 26 bildeten mit Kasino- und Neckarstraße sowie Donnersbergring als Nord-Süd-Verbindung von Frankfurt/Main zur Bergstraße die wichtigsten Ein- und Ausfallstraßen. Als der Verkehr in der Innenstadt explosionsartig zunahm, verbannte man die Autos durch die Schaffung von Fußgängerzonen um den Luisenplatz und den Ludwigsplatz bei gleichzeitiger Schaffung von Parkhäusern und Tiefgaragen sowie durch den Bau des Wilhelminenstraßentunnels und des City-Rings. Einer der folgenreichsten Eingriffe in die noch intakte Bausubstanz, die geplante Osttangente durch das Martinsviertel, konnte zu Beginn der 1980er Jahre, vor allem durch die Bewohner des Viertels selbst, verhindert werden. Das Martinsviertel wurde in den folgenden Jahrzehnten vollständig saniert, ebenso wie die noch vorhandene Bausubstanz im Ortskern von Bessungen. Ebenfalls nicht ausgeführt wurde die ursprünglich mit der Erbauung Neukranichsteins verknüpfte Ostautobahn durch Fasanerie und Oberfeld bis nach Bessungen.

Auf dem Weg zur Wissenschaftsstadt
Zu den größten Bauprojekten der letzten Jahrzehnte gehörten der Bau des Luisencenters, verbunden mit der Schaffung des City-Rings, der die gesamte Innenstadt betraf und nachhaltig umgestaltete. 1977 wurde der 44 Millionen DM teure Tunnel unter der Wilhelminenstraße eingeweiht. Ein Jahr später war das Luisencenter mit dem Neuen Rathaus fertig gestellt, zwei Jahre später zum Stadtjubiläum der Luisenplatz. In den letzten zwanzig Jahren konnten ebenfalls einige Großprojekte der Stadtentwicklung und Sanierung abgeschlossen oder voran gebracht werden: die Sanierung von Jagdschloss Kranichstein (1998), der Bau des City-Zentrums „Carree“ (1998) mit vielen Geschäften und der 1999 eröffneten Centralstation, die Sanierung des Hauptbahnhofs und seiner Umgebung (2005), die Errichtung des Wissenschafts- und Kongresszentrums Darmstadtium (eröffnet 2007, Kongressgebäude) und die Erschließung der Weststadt.

DAs Einwohnerzahl wuchs rasant. War zum Heinerfest 1951 der 100.000. Einwohner begrüßt worden, leben 1956 bereits 123.000 Menschen in DA. 1968 waren es 140.000. Wesentlich trugen dazu mehr als 10.000 Flüchtlinge aus der Sowjetischen Besatzungszone, ab 1956 aus Ungarn bei, dazu ab 1956 die ersten Gastarbeiter. Weitere Bewohner kamen 1977 durch die Eingemeindung Wixhausens hinzu, allerdings wurde der erst ab 1949 entstandene Stadtteil St. Stephan an Griesheim abgegeben. In der Folgezeit sank die Einwohnerzahl leicht auf 139.000 Ende 2005, hat bis 2015 jedoch die Marke von 150.000 überschritten.

In den letzten Jahrzehnten wandelte sich auch das Erscheinungsbild der städtischen Wirtschaft. Zunehmend siedelten sich Firmen des Dienstleistungsgewerbes und Forschungseinrichtungen in DA an und verdrängten Firmen des produzierenden Gewerbes. Schon 1966 war das Forschungsinstitut für Zeitungsdruck „INCA“ nach DA gekommen. Es folgten die europäischen Behörden für Weltraumforschung ESOC (1967, Vorgängerbüro schon 1964) und die Organisation für Wettersatelliten Eumetsat (1986), 1973 die GSI Helmholtzzentrum mit ihrem Schwerionenbeschleuniger, vorher schon FTZ und PTZ, die den heutigen Standort von Deutscher Telekom und Deutscher Post AG begründeten, dazu mehrere Fraunhofer-Institute. 1972 zog das Hessische Institut Wohnen und Umwelt nach DA. In der Konsequenz wurde der Stadt 1997 die Bezeichnung „Wissenschaftsstadt“ verliehen. Heute ist DA Wissenschafts- und Technologiestadt mit vielen wissenschaftlichen Einrichtungen. Die Wirtschaft ist geprägt von Bereichen der Hochtechnologie: Telekommunikation und Informationstechnologie sind hier ebenso beheimatet wie Weltraum- und Satellitentechnik und Software-Industrie. Mit den Betrieben der neuen Technologie hat sich die Stadt DA eine neue Basis geschaffen, um auch künftig ihrer Bedeutung als Oberzentrum gerecht zu werden.

Lit.: Darmstadts Geschichte. Fürstenresidenz und Bürgerstadt im Wandel der Jahrhunderte, von Friedrich Battenberg, Jürgen Rainer Wolf, Eckhart G. Franz, Fritz Deppert. Gesamtredaktion: Eckhart G. Franz, Darmstadt 1980, 2. Aufl. 1984; Darmstadt in der Stunde Null. Eine Ausstellung des Stadtarchivs Darmstadt aus Anlaß des 50. Gedenktags der Brandnacht vom 11./12. September 1944, Konzeption Peter Engels, Darmstadt 1994.; Darmstädter Kalender. Daten zur Geschichte unserer Stadt, bearb. von E. G. Franz und Christina Wagner, Darmstadt 1994 (Darmstädter Schriften 63); Gerberding, Elke: Kultureller Wiederaufbau. Darmstädter Kulturpolitik in der Nachkriegszeit 1945-1949, Darmstadt 1996 (Darmstädter Schriften 69); Das war das 20. Jahrhundert in Darmstadt, hrsg. Magistrat der Wissenschaftsstadt Darmstadt – Stadtarchiv, Gudensberg-Gleichen 2006; Ortkamp, Fabian: Aufbauplanung in Darmstadt 1944-1949, Konzepte für einen baulichen und wirtschaftlichen Neuanfang, Darmstadt 2017 (Beiträge zur hessischen Wirtschaftsgeschichte Bd. 11); Engels, Peter: Darmstadt. Kleine Stadtgeschichte, Regensburg 2019.