Stadtlexikon Darmstadt

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Reformation

(siehe auch Kirchengeschichte Darmstadts, Kirchengeschichte Eberstadts)
Darmstadt zählt zu den ersten hessischen Städten, in denen die Reformation Fuß fasste. Landgraf Philipp der Großmütige, der Hessen seit 1518 regierte, hatte Martin Luther bereits auf dem Reichstag von Worms 1521 kennen gelernt. Im Sommer 1524 wandte er sich selbst dessen Lehren zu, wohl beeinflusst durch Luthers Vertrauten Philipp Melanchthon. Zu dieser Zeit hatte die Reformation in Hessen schon Verbreitung unter Geistlichen und gebildeten Laien gefunden und in einigen Gegenden und Städten zu Unruhe und Aufruhr geführt. Am 27. August 1526 beschloss der Reichstag in Speyer, bei dem sich Landgraf Philipp als bekennender Lutheraner „geoutet“ hatte, dass jeder Reichsstand in Glaubenssachen so entscheiden könne, wie er es gegenüber Gott und dem Kaiser zu verantworten vermochte. Daraufhin schritt Philipp zur raschen Einführung des lutherischen Glaubens in seiner Herrschaft. Eine Versammlung geistlicher und weltlicher Würdenträger in Homberg an der Efze – auch Vertreter aus Darmstadt, waren anwesend – verpflichtete im Oktober 1526 alle hessischen Pfarrer, das Evangelium nach der Lehre Martin Luthers zu predigen. Der Abendmahlswein sollte ab jetzt auch den Gläubigen im Gottesdienst gespendet werden, Heiligenverehrung, Wallfahrten, Prozessionen und der Zölibat wurden abgeschafft, d. h. die Pfarrer durften von nun an heiraten. Der Kirchenaufbau sollte auf der Grundlage selbständiger Gemeinden erfolgen. In Homberg wurde der Grundstein für eine hessische Landeskirche gelegt. In den kommenden Jahren wurden 20 Männer- und 17 Frauenklöster in Hessen aufgehoben. Aus dem Klostergut wurde zunächst die neu gegründete Universität Marburg ausgestattet. 1538 führte Landgraf Philipp auf Anraten des Reformators Martin Bucer in Hessen als erstem Land die Konfirmation ein als Bestätigung der Taufe, Prüfung christlicher Lehren und Zulassung zum Abendmahl. Zugleich eingeführt wurde die Wahl von Kirchenältesten in allen Gemeinden, die zusammen mit dem Pfarrer für die Einhaltung der christlichen Ordnung in den Gemeinden sorgen sollen. Dies ist die Geburtsstunde der heutigen Kirchenvorstände.

Noch während des Reichstags zu Speyer, am 21. August 1526, schrieb Landgraf Philipp an Bürgermeister und Rat in Darmstadt, dass er an Stelle des katholischen Pfarrers den Nikolaus Maurus eingesetzt habe. Maurus (1483-1539) war seit 1516 Kanoniker am Andreas-Stift in Worms gewesen und seit 1523 mit Luther persönlich bekannt, hatte Worms 1524 verlassen müssen, war nach Weißenburg im Elsass gegangen und kam von dort nach Darmstadt. Die katholische Darmstädter Marienkirche wurde nun zur evangelischen Stadtkirche. Die Kirche umfasste den Hochaltar und sechs weitere Altäre. Der Hochaltar blieb erhalten, die Einkünfte gehörten dem neuen Pfarrer. Die anderen Altäre wurden beseitigt, ihre Einkünfte für den Unterhalt evangelischer Pfarrer, für das neu gegründete Hospital in Hofheim, das heutige Philippshospital in Goddelau, für die 1527 gegründete Universität in Marburg und für den Unterhalt einiger Studenten sowie für andere wohltätige Zwecke verwendet. Zu den Altären gehörten auch die Wohnhäuser der Altarinhaber, die verkauft oder anderweitig verwendet wurden. Zu zwei Altären, dem Heilg-Kreuz-Altar und dem Martinsaltar, gehörten Prozessionskapellen, nämlich die Kapelle zum Hl. Kreuz an der Dieburger Straße, und die Martinskapelle am Herrgottsberg bei Bessungen. Beide Kapellen wurden abgerissen.

Von Darmstadt aus wurde die Reformation in der gesamten Obergrafschaft Katzenelnbogen verbreitet. Nach etwa 3 Jahren war bereits die Hälfte der Pfarreien für die neue Konfession gewonnen. Noch 1526 ist der erste Pfarrer in Nieder-Ramstadt nachgewiesen, 1527 wurden in Arheilgen, Groß-Gerau und Roßdorf, 1529 in Griesheim und Pfungstadt, 1535 in Bessungen Pfarrer eingesetzt. Wixhausen und Weiterstadt erhielten vor 1538 evangelische Pfarrer. 1542 wurde im von den katholischen Frankensteinern beherrschten Eberstadt erstmals ein lutherischer Pfarrer genannt. Wie die Darmstädter auf die Einführung der Reformation reagierten, ob sie Anhänger Luthers oder eher altgläubig waren, ob es Proteste gegen den neuen Glauben gab, ist leider nicht überliefert.

Die Darmstädter Pfarrer waren seit 1527 in Personalunion Superintendenten der Obergrafschaft Katzenelnbogen. Die Superintendenten sollen die Gemeinden ihres Sprengels jährlich besuchen, die Pfarrer und Kirchendiener prüfen, die Pfarrkinder auf den rechten Glauben examinieren und auch das Gemeindeleben soweit möglich begutachten. Bei einer Zahl von ca. 30 Pfarreien war dies für den Darmstädter Superintendenten eine große Belastung. Deshalb standen ihm ab 1528 ein weiterer Prediger und ab 1555 ein Kaplan zur Seite. Auf jährlichen Synoden sollten die Superintendenten über die Ein- und Absetzung von Pfarrern und andere wichtige Dinge beschließen.

Mit der Einführung der Reformation einher ging auch die Einführung bzw. Reorganisation von Schulen(s.a. Schulwesen). In allen Orten sollten die Knaben in den Elementarlehren unterrichtet, aber auch auf das Studium an der neu gegründeten Universität zu Marburg vorbereitet werden. Die Lehrer waren fast ausschließlich Geistliche, die Schulaufsicht und Trägerschaft lag bei der Kirche. Die 1526 neu gegründete Darmstädter Schule erhielt die Einkünfte von zwei aufgelösten Altären der Stadtkirche. Ein ehemaliges Wohnhaus hinter der Kirche wurde als Schulhaus genutzt und 1571 mit großem Aufwand umgebaut und erweitert. Religiöse Erziehung stand neben Lesen und Schreiben im Vordergrund des Lernstoffs. 1570 wurde der Unterricht erweitert, vor allem kam Latein hinzu. Das Schulgebäude von 1571 stand einschließlich eines späteren Erweiterungsbaus bis zum Abriss im Jahr 1835.

Die hessische Kastenordnung von 1531 führte den Kirchenkasten als neue Rechnungsstelle der Kirchengemeinde ein, der von zwei Kastenmeistern geführt wurde. Die Kastenordnung regelte die Pfarrerbesoldung, die Kirchenunterhaltung, die Verwaltung des Pfarrgutes, auch die Ordnung des Schulwesens sowie die Ausgaben für den Schulmeister, den Glöckner und den Totengräber. Die Einkünfte des Darmstädter Kirchenkastens stammten aus aufgelösten Altar- und Kapell-Einkünften der Darmstädter Stadtkirche und der Arheilger Liebfrauenkirche. Auch die Begräbniskultur in Darmstadt wandelte sich mit der Einführung der Reformation. Im Mittelalter waren die Gläubigen darauf bedacht, im Tode Gott und seiner Kirche möglichst nah zu sein und bei den Reliquien der Heiligen, d. h. in oder zumindest nahe der Kirche bestattet zu werden. Deshalb lag der älteste Darmstädter Friedhof um die Kirche herum. Die Reformation lehnte die Rolle der Heiligen als Vermittler für das Seelenheil und die Bestattung in ihrer Nähe ab und stellte die Hinterbliebenen mehr ins Zentrum des Trauerkults. Sie sollten auf dem Friedhof der Toten gedenken, was auf dem engen Darmstädter Kirchhof nicht möglich und aufgrund der hygienischen Verhältnisse auch nicht anzuraten war. So verlegte man in den 1570er Jahren den Begräbnisplatz vor die Mauern, an den heutigen Kapellplatz, wo er bis 1828 bestand.

Die Darmstädter waren seit der Reformation treu lutherisch gesinnt. Das reformierte Bekenntnis (Calvinismus) wurde abgelehnt. Bereits 1623 hatte man einen Darmstädter Katechismus, zur Unterscheidung von „dem verruchten Calvinismo“ herausgegeben. Auch die Pietisten, die 1676 in Darmstadt Fuß fassten, wurden von der lutherischen Amtskirche erfolgreich vertrieben. 1706 verfügt Landgraf Ernst Ludwig, dass Geistliche und Kirchendiener einen Revers unterzeichnen müssen, der bezweckt, „das Land von denen Pietisten zu säubern“. Derselbe Ernst Ludwig erlaubte allerdings 1714 mit Rücksicht auf seine französische Komödiantentruppe und die dem Hofstaat angehörigen Katholiken (z. B. der Erbauer des Schlosses Louis Remy de la Fosse) die private Abhaltung katholischer Gottesdienste. Nach Protesten der Kirche wurden die katholischen Messen wieder untersagt. Erst 1770 erlaubte Landgraf Ludwig IX. den in Darmstadt lebenden Reformierten, die bisher nach Groß-Zimmern zum Gottesdienst gehen mussten, einen Prediger zu holen, der in der ohnehin leer stehenden Kapelle auf dem Friedhof (Kapellplatz) Gottesdienst halten konnte. Die Statuten des Pädagogs von 1778 machten keinen Unterschied mehr, ob ein Schüler lutherisch, reformiert oder katholisch war. 1790 erteilte Landgraf Ludwig X. den Katholiken die Erlaubnis, Gottesdienste abzuhalten. 1833 gelang die offizielle Union zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche. Seitdem gibt es nur noch eine evangelische Kirche in Darmstadt. An Martin Luther erinnern heute vor allem die 1885 eingeweihte Martinskirche und die dort befindliche Statue Luthers von dem Bildhauer Friedrich Drach.

Lit.: Battenberg, Friedrich: Hessen, Martin Luther und das Reformationsjubiläum. In: AHG NF 75, 2017, S. 319-352 (Sammelrezension zu mehr als 50 Werken); Landgraf Philipp der Großmütige 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform. Begleitband zur Ausstellung des Landes Hessen, Marburg 2004; Mit dem Glauben Staat machen. Beiträge zum Evangelischen Philipps-Jahr 2004, Darmstadt und Kassel 2005 (Quellen und Studien zur Hessischen Kirchengeschichte 12).

Stand 2018