Stadtlexikon Darmstadt

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Bessungen

Der Ort ist eine fränkische Gründung vermutlich des 6. oder 7. Jahrhunderts. Der Name bedeutet „zu den Leuten des Bezzo“ und deutet auf den vermutlichen Ortsgründer hin. Um die auf einer Erhebung stehende Kirche herum, die älteste Pfarrkirche der Umgebung, entwickelte sich allmählich eine kleine Siedlung, für deren Alter auch die große waldreiche Dorfgemarkung spricht, gleichzeitig die Haupteinnahmequelle der Bessunger. Ortsherren waren zunächst die deutschen Könige und Kaiser, dann die Bischöfe von Worms und Würzburg und seit dem frühen 13. Jahrhundert die Grafen von Katzenelnbogen als Würzburger Lehensmannen, die zwischen Rhein, Main und Odenwald eine Herrrschaft errichteten und durch drei Burgen sicherten: Lichtenberg, Auerbach und DA. Das nur etwa zwei Kilometer entfernte DA wurde dem älteren Pfarreiort Bessungen vorgezogen, weil man bei der Anlage der Darmstädter Wasserburg (Schloss) ein dort befindliches Jagdhaus oder eine ähnliche Anlage nutzen konnte. Darmstadt lief Bessungen in den folgenden gut 100 Jahren den Rang als Vorort der Umgegend ab. 1369 wurde die Darmstädter Kirche (spätere Stadtkirche), bisher als Kapelle von der Bessunger Kirche abhängig, zur Pfarrkirche erhoben und die Bessunger Kirche zur Kapelle herabgestuft. DA war auch Vorort der Zent, des gemeinsamen Gerichts- und Verwaltungsbezirks. Hier tagte das Zentgericht, das sich aus 14 Darmstädter und 7 Bessunger Schöffen zusammensetzte und über die Blutsgerichtsbarkeit urteilte (Gerichtsbarkeit). Der Galgen der Zent DA-Bessungen stand auf dem Galgenberg, dem heutigen Wolfskehlschen Garten. Die Grafen von Katzenelnbogen waren nicht nur Orts- und Gerichtsherren in Bessungen, sondern auch die größten Grundbesitzer. Verwaltet wurde ihr Besitz vom Bessunger Hofgut aus, das etwa an der Stelle des Bessunger Jagdhofs lag. Zu dieser Zeit hatte Bessungen etwa 200 Einwohner. An der Spitze der Gemeinde stand der 1372 erstmals genannte Schultheiß als Vertreter der Ortsherren. 1426 begegnen mit dem Büttel Johann und Kunz dem Kuhhirten erstmals „Gemeindebeamte“. Im 16. Jahrhundert lässt sich dann bereits eine differenziertere Gemeindeverwaltung mit Bürgermeistern, Gerichtsschreibern, Nachtwächtern, Flurschützen u. a. feststellen. Der Schultheiß führte auch den Vorsitz im Schöffengericht, das sich mit Aufgaben der niederen und freiwilligen Gerichtsbarkeit befasste und mit Angehörigen alteingesessener Bessunger Familien besetzt war.

Bessungen in hessischer Zeit
Nach dem Aussterben der Grafen von Katzenelnbogen 1479 fiel die Obergrafschaft an die Landgrafen von Hessen. Die neuen Herren ließen die alten Rechte im Wesentlichen unangetastet. Im Jahr 1526 führte Philipp der Großmütige die Reformation ein. Die alte Bessunger Kirche wurde wieder Pfarrkirche und erhielt nach langer Zeit wieder einen Pfarrer. Bald aber merkten die Bewohner der Obergrafschaft und damit auch die Bessunger, dass die hessischen Landgrafen ihre neu gewonnene Macht nutzten, um in der großen Politik ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. 1518 hausten die Truppen des Reichsritters Franz von Sickingen in der Umgebung von DA und suchten auch Bessungen heim. Besonders schlimm erging es dem Dorf im Jahr 1546, als Landgraf Philipp der Großmütige für seine Teilnahme am Aufstand gegen Kaiser Heinrich V. im Schmalkaldischen Krieg bestraft wurde. Der kaiserliche General Maximilian von Büren eroberte DA und zerstörte das Schloss (Stadtgeschichte). Auch Bessungen suchten die kaiserlichen Truppen heim. Von den Zerstörungen des Jahrs 1546 erholte sich der Ort erst nach vielen Jahren. Als nach dem Tode Landgraf Philipps im Jahr 1567 sein jüngster Sohn Georg I. die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt mit der neuen Residenz DA begründete, wirkte sich dies für das südliche Hessen vorteilhaft aus. Der neue Herrscher konzentrierte sich ganz auf den wirtschaftlichen Aufbau seines kleinen Landes. Die Residenz DA wurde ausgebaut. Mit dem dortigen Bauboom brachte er einer großen Zahl von Handwerkern Beschäftigung und Lohn, auch in Bessungen. Die Bessunger Bauern versorgten Hof und Stadt mit Lebensmitteln. Georg I. ließ Tannenwälder anlegen – sorgte damit für die Grundlage der späteren Bessunger Klenganstalten – und förderte die Anlage von Weinbergen, die u. a. im Süden des Orts (Weinbergstraße), an der heutigen Karlstraße und am Herdweg lagen (Weinbau). Georg I. war es auch, dem die Bessunger ihren Spitznamen Lappings zu verdanken haben, da er in den Bessunger Sanddünen und den umliegenden Tannenwäldern Kaninchen ansiedelte. Einen verheerenden Rückschlag der Entwicklung der letzten Jahrzehnte brachte dann jedoch der Dreißigjährige Krieg. Für Bessungen wirkte sich fatal aus, dass es an der Bergstraße lag und damit, wie auch Arheilgen und Eberstadt, in Kriegszeiten dauernd unter Truppendurchzügen und Einquartierungen zu leiden hatte. Zum anderen stellte die Nähe zu DA, das als Zentrum der Obergrafschaft häufig im Brennpunkt des militärischen Geschehens lag, eine latente Bedrohung dar. Beim Überfall des Grafen von Mansfeld 1622 wurde Bessungen geplündert. Es gab etwa 70 Tote. Auch in den folgenden Jahren hatte der Ort schwer zu leiden. Anfang 1635 nahmen schwedische und französische Truppen ihr Hauptquartier in Bessungen. Ein Großteil der Bewohner, die sich aus dem völlig verwüsteten Dorf hinter die Darmstädter Mauern geflüchtet hatten, fielen dort der Pest zum Opfer. Als 1648 nach endlos scheinender Kriegszeit endlich Frieden einkehrte, gestaltete sich der Wiederaufbau des zerstörten Dorfs schwierig und langwierig, zumal Bessungen in den Jahren nach 1670, 1689 und 1693 erneut unter kriegerischen Ereignissen, v. a. von französischer Seite, zu leiden hatte.

Die höfische Zeit Bessungens
Erst ganz allmählich konnte sich das Dorf in den folgenden Jahrzehnten relativer Ruhe erholen; Landwirtschaft, Weide und Weinbau lebten wieder auf. Einige prominente Darmstädter zog es in dieser Zeit weg vom hektischen Hofbetrieb in DA in das beschauliche Dorf im Süden. Den Vorreiter spielte Regierungs- und Kammerpräsident Weiprecht von Gemmingen-Hornberg, der 1688 den Bessunger Harnischhof kaufte. Ab 1716 baute Landgraf Ernst Ludwig dieses Anwesen zur Orangerie aus. 1719 begann der Bau des Orangeriegebäudes. Die höfischen Bauvorhaben sorgten in Bessungen für eine stürmische wirtschaftliche Entwicklung. An den Steinbrüchen am Herrgottsberg, die auch für den Schlossbau in DA genutzt wurden, entstand eine besondere Waldgemeinde mit provisorischen Behausungen, einem „Waldbürgermeister“ und einem eigenen Gastwirt. Hinzu kamen die Gärtner zur Pflege der neu angelegten herrschaftlichen Gärten und auch die Jägerknechte, die z. T. ebenfalls in Bessungen ansässig wurden und für einen reibungslosen Ablauf der langräflichen Jagden sorgten (Jagdgeschichte). Das alte Bessunger Hofgut wurde zum Jagdhof ausgebaut. Mit der Bauherrlichkeit war es jedoch bald vorbei. Die Geldnot und Verschuldung Landgraf Ernst Ludwigs ließen 1726/27 alle weiteren Projekte stoppen. Die Orangerie wurde nur zur Hälfte fertig gestellt. Arbeit blieb nur in der Pflege der neuen Gartenanlagen und zunächst noch im Jagdbetrieb, der unter Ludwig VIII. noch einmal auflebte. Mit seinem Tod verschwand auch diese Verdienstmöglichkeit, die Parforcejagd war abgeschafft, der Jagdstaat aufgelöst. Die Bessunger Jagdgebäude dienten nun vorrangig als Rekruten- und Nachschubdepot für die Regimenter, die Landgraf Ludwig IX. in seiner Zweitresidenz Pirmasens nach selbst komponierten Märschen exerzieren ließ. Trotz der zeitweiligen Rückschläge waren die Baubestrebungen des Darmstädter Hofs entscheidend für die Entwicklung Bessungens im 18. Jahrhundert. Der dörfliche Kern verschwand beinahe zwischen den flächenmäßig größeren Hof- und Gartenanlagen. Die östliche Grenze bildete der Orangeriegarten mit der zugehörigen Hofgärtnerei. Jenseits der um 1770 angelegten neuen Chaussee lag der ebenfalls ausgedehnte Chausseehausgarten (Chausseehaus). Den nördlichen Abschluss bildete der kurz nach 1770 neu geschaffene Prinz-Emil-Garten. Einige zu Wohlstand gekommene Ortsbürger errichteten repräsentative Wohnhäuser, z. B. die heute noch vorhandenen Häuser Ludwigshöhstraße 9, Bessunger Straße 70, 72, 75 und 78.

Auf dem Weg nach Darmstadt
Nachdem die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Napoleonischen Zeit und der Misserntejahre 1816 und 1817 überwunden waren, erlebte Bessungen in den folgenden Jahrzehnten einen für seine Geschichte beispiellosen Aufschwung, der v. a. durch die Nähe zur aufstrebenden Residenz DA bedingt war. Der starke Bevölkerungsanstieg in der Hauptstadt des nunmehrigen Großherzogtums Hessen ließ beide Gemeinden mehr und mehr aufeinander zu wachsen. Die Bebauung der Wilhelminen- und Karlstraße stieß Ende der 1820er Jahre rasch bis zur Bessunger Gemarkungsgrenze an der Heinrichstraße vor. Auch auf Bessunger Seite dehnten sich Karlstraße und Wilhelminenstraße nach Norden aus, seit etwa 1860 begann die Bebauung des Herdweges Richtung Nordosten. Im Süden reichte die Bebauungsgrenze zur Jahrhundertmitte etwa bis zur Weinberg- und Herrngartenstraße. Über die Ludwigshöhstraße schoben sich neu errichtete Häuser allmählich weiter Richtung Süden vor, ebenso über die Bessunger Straße nach Westen in Richtung Bessunger Bahnhof (Bahnhöfe). Schon seit den 1830er Jahren siedelten sich verstärkt Darmstädter in Bessungen an, Hof- und Staatsbedienstete ebenso wie Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft. Die Einwohnerzahl – zu Beginn des Jahrhunderts gut 1.000 – stieg bis 1880 auf über 7.000. Gleichzeitig vollzog sich ein sozialer und wirtschaftlicher Wandel. Die Berufsangabe „Ackermann“ wurde immer seltener, Handwerker stellten das Gros der Berufe, v. a. Bauhandwerker. Auch Industrieunternehmen siedelten sich an, etwa die Klenganstalten zur Gewinnung von Nadelholzsamen, eine Großwäscherei, Knopf-, Zündholz- und Sodawasserfabriken.

Das Zusammenwachsen von DA und Bessungen war auch anderweitig zu erkennen: Die Darmstädter Adressbücher verzeichneten seit 1845 auch Bessunger Bewohner und trugen ab 1865 den Titel „Adreßbuch der Haupt- und Residenzstadt Darmstadt nebst Bessungen“. Auch auf den Darmstädter Stadtplänen dieser Zeit wurde Bessungen bereits mit erfasst, und es gab gemeinsame Vereinsgründungen. Als die neue Dampfstraßenbahn (Straßenbahn) die beiden Ortskerne seit Sommer 1886 noch enger zusammenrücken ließ, hatte der Bessunger Gemeinderat kurz zuvor, am 25.05.1886, den Anschluss der Gemeinde Bessungen an DA genehmigt und Verhandlungen mit DA aufgenommen. Obwohl diese sich schwierig gestalteten, wurde am 02.12.1887 der Vereinigungsvertrag unterschrieben und am 01.04.1888 die Eingemeindung vollzogen. Die Bessunger hatten jetzt Anspruch auf Nutzung der höheren Schulen, der Krankenhäuser und weiterer sozialer Einrichtungen der Stadt DA, ebenso auf den Anschluss an die Wasserversorgung und die Kanalisation (Kläranlagen), an das im Entstehen begriffene Stromnetz (Stromversorgung) und an die bereits bestehende Gasversorgung. Mittlerweile sind die ehemaligen Grenzen im Stadtbild längst nicht mehr zu erkennen. Dafür haben auch die neuen Stadtviertel gesorgt, die rings um das alte Bessungen entstanden sind: Gervinusviertel, Paulusviertel, Steinbergviertel, Lincoln- und Heimstättensiedlung. Ein gewisses Maß an Eigenständigkeit haben sich die Bessunger bewahrt, durch ein eigenes Vereinsleben, durch die Kerb und durch ein in Teilen noch historisches Ortsbild, das sie den Darmstädtern nach den Zerstörungen des letzten Kriegs voraushaben.

Lit.: Möbus, Walter: Bessunger Lesebuch, Darmstadt 1987; Engels, Peter: Geschichte Bessungens, Darmstadt 2002 (Darmstädter Schriften 83); 125 Jahre Bessungen-Darmstadt, hrsg. von Bürgeraktion Bessungen-Ludwigshöhe e.V., Darmstadt 2013.