Stadtlexikon Darmstadt

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Gerichtsbarkeit

Die Entwicklung des Darmstädter Gerichtswesens geht auf die katzenelnbogische Zeit zurück. Das erstmals 1362 urkundlich nachgewiesene Schöffengericht hatte sich in der Frühphase der Stadt wohl aus einer Zusammenlegung zweier siebenköpfiger Laiengremien der Ober- und Unterstadt gebildet; es war unter dem Vorsitz eines Schultheißen (Stadtverwaltung) allumfassend gerichtlich tätig, soweit nicht die »Zenten« zuständig waren. Diese – für den Bereich DA das Zentgericht Arheilgen, für den Bereich Eberstadt dasjenige in Pfungstadt – hatten alle »Blutgerichtsfälle« (schwere Kriminalität, die an »Leib und Leben« ging) sowie überregionale Bußfälle und Streitigkeiten zu entscheiden. Beide, grundsätzlich eininstanzlich tätigen Gerichte standen dem Landesherrn, also zunächst dem Grafen von Katzenelnbogen und in dessen Nachfolge dem Landgrafen von Hessen, zu, der den Schultheißen ebenso wie den Zentgrafen bestimmte. Die lebenslänglich tätigen Schöffen wurden kooptiert, die Zentschöffen anteilmäßig aus den Schöffengerichten der den Zenten angehörigen Orte beschickt. Daneben gab es in DA noch ein »Märkerding«, ursprünglich aus allen Gemeindebürgern bestehend, in der Stadtordnung von 1457 auf 14 Mitglieder reduziert. Ihm oblag die Entscheidung der Markstreitigkeiten um Wald und Weide.

All diese Gerichte gab es im Kern bis zum Ende des Alten Reichs 1806; doch machten sie im Laufe der Zeit einen beträchtlichen Funktionswandel durch. Mit der so genannten vermehrten Marburgischen Hofgerichtsordnung des Landgrafen Philipp des Großmütigen von 1524 wurde das Schöffengericht DA als erstinstanzliches Gericht in den Gerichtsaufbau des Landes einbezogen. Damit wurden Berufungen an das Hofgericht in Marburg möglich, bald auch an die landgräfliche Kanzlei zu DA, die unter der Bezeichnung »Regierung der Obergrafschaft« bis 1803/4 auch als mittlere Verwaltungsebene der Landgrafschaft fungierte. Das ihr angegliederte Konsistorium war auch erstinstanzlich für die Geistlichkeit sowie für Ehe- und Familiensachen zuständig. Das Märkerding und die Zentgerichte behielten nur Teile ihrer Zuständigkeit. Die Blutgerichtsbarkeit übte seit 1570 weitgehend das neue Peinliche Halsgericht in DA aus, auch wenn die »Vorverfahren« weiterhin den Zenten oblagen; spätestens nach der Verurteilung mussten die Delinquenten nach DA überstellt werden. Als Appellationsgericht kamen das 1495 neu konstituierte Reichskammergericht sowie der bald darauf gegründete Reichshofrat hinzu. Von beiden Reichsgerichten ließen sich die Darmstädter Landgrafen aber 1631 durch ein auf einen Streitwert von über 1.000 Gulden beschränktes und 1747 durch ein unbeschränktes Appellationsprivileg befreien. An die Stelle dieser Obergerichte trat 1748 das neue Oberappellationsgericht in DA, vor das nun alle Appellations- und Revisionsfälle gebracht wurden, soweit nicht die Regierung in DA oder das fortbestehende Samthofgericht in Marburg zuständig waren. 1777 erhielt es eine Gerichtsordnung.

Mit dem Organisationsedikt von 1803 wurde mit Wirkung vom 01.01.1804 die Gerichtsbarkeit in DA auf eine neue Basis gestellt, und zwar derart, dass unter der Bezeichnung »Hofgericht Darmstadt« ein Justizkollegium bei der Regierung der Provinz Starkenburg eingerichtet wurde. Es wurde als Appellationsinstanz dem Stadtgericht über- und als mittleres Gericht dem fortbestehenden Oberappellationsgericht untergeordnet. Das Hofgericht übernahm nach und nach die Zuständigkeiten des Konsistoriums und des alten Oberforstgerichts, 1849 schließlich durch Bildung eines Kriminalsenats die Schwurgerichtsbarkeit. In Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1877 wurde 1879 das Darmstädter Stadtgericht in ein Amtsgericht, das Hofgericht in das Landgericht und das Oberappellationsgericht in das Oberlandesgericht DA umorganisiert und in einen reichseinheitlichen Gerichtsaufbau (mit Revisionsmöglichkeiten bis zum Reichsgericht in Leipzig) eingebunden. Daran hat sich auch nach 1945 nichts geändert, abgesehen davon, dass an die Stelle des Reichsgerichts der Bundesgerichtshof trat und man das nach Frankfurt/Main verlegte Oberlandesgericht in DA auf einen Senat beschränkte. Hinzu kamen die – teilweise schon vorher bestehenden – Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialgerichte, von denen das letztgenannte auch mit der Berufungsinstanz, dem Landessozialgericht, in DA angesiedelt wurde. Mit dem Bau des neuen Justizzentrums am Mathildenplatz wurde das alte Domizil des Land- und Amtsgerichts (Gerichtsgebäude) wesentlich erweitert.

Lit.: Battenberg, F.: Die Geschichte der Darmstädter Justiz. In: Justiz-Report Landgericht Darmstadt, Sonderausgabe zum 425. Jahrestag des Landgerichts Darmstadt, Darmstadt 1992, S. 16-51.