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Kranichstein

Der Name „Kranichstein“ rührt von Henne Kranich von Dirmstein her, dem am 06.05.1399 das „Einsiedel-Rod an dem Messeler Wege in der Darmstädter Mark“ verliehen wurde. An der Stelle dieser ehemaligen Einsiedelei entstand im 16. Jahrhundert das Jagdschloss Kranichstein, das unter Landgraf Georg I. zu einem repräsentativen Renaissanceschloss ausgebaut wurde, sowie ein Hofgut mit Meierei, Schäferei, Wiesen, Weingärten und Fischteichen. Im Dreißigjährigen Krieg nahmen Schloss und Hofgut Kranichstein großen Schaden. Eine umfangreiche Erneuerung setzte nach Kriegsende 1648 ein. Vieles geht auf Sophie Eleonore, die Gattin Georgs II. zurück, die dem schwer heimgesuchten DA entfloh und ihren Wohnsitz auf Kranichstein einrichtete. Sie vergrößerte den Wildpark (Fasanerie), versah ihn teilweise mit einer Mauer (Gichtmauer) – dies brachte die Darmstädter Stadtoberen auf, weil diese Mauer ihnen den Weg zu ihren alten Weideplätzen versperrte – und gestaltete einen Teil zu einem Lustgarten um. Das „Sorgenlos“ zwischen Steinbrücker Teich und Jagdschloss geht auf sie zurück. Unter den beiden Jagdlandgrafen Ernst Ludwig und Ludwig VIII. wurde das Schloss zum Zentrum höfischer Jagdkultur (Jagdgeschichte, Jagdzeughaus). Im 19. Jahrhundert entdeckte die Darmstädter Bevölkerung das Jagdschloss Kranichstein als beliebtes Ausflugsziel – seit 1804 gab es dort eine Gastwirtschaft –, und die Großherzöge nutzten es als Sommer-Residenz. 1917/18 entstand hier das Museum Jagdschloss Kranichstein.

Zwischen dem Jagdschloss Kranichstein und dem 1858 eingerichteten Haltepunkt Kranichstein der Bahnstrecke Mainz-Aschaffenburg (Eisenbahn) entwickelte sich auf Arheilger Gemarkung eine Eisenbahnersiedlung, die ebenfalls den Namen Kranichstein erhielt. Am Haltepunkt Kranichstein wurde ein Stationsgebäude errichtet, das 1896 zu einem zweistöckigen Bahnhof umgebaut wurde (Bahnhöfe). Nach der im selben Jahr erfolgten Verstaatlichung der Ludwigsbahn und der Übernahme durch die Preußisch-Hessische Staatsbahnen wurde die Station Kranichstein zu einem Güterbahnhof ausgebaut. Die Bahn begann, für das stark angewachsene Personal am Bahnhof Häuser zu errichten. Als erstes Haus entstand 1899 ein zweistöckiges Wohnhaus für sechs Eisenbahnerfamilien unmittelbar am Bahnübergang an der Jägertorstraße. In den folgenden Jahren entstanden weitere Häuser um den Bahnhof herum, darunter zwei Gastwirtschaften: Zum einen die „Wartburg“, und dann die Wirtschaft „Zur Ludwigsbuche“ am Bahnübergang Jägertorstraße. Als 1912 in DA der neue Hauptbahnhof in Betrieb ging, wurde der Kranichsteiner Güterbahnhof zum selbstständigen Bahnbetriebswerk aufgewertet. Neue Eisenbahnerhäuser entstanden in der Jägertorstraße und Parkstraße. Dort bildete 1929/30 die von der Siedlungsgesellschaft für das Verkehrspersonal errichtete Siedlung, genannt „Rundhausen“, einen vorläufigen Abschluss. Zu dieser Zeit lebten in Kranichstein 800 Menschen in 78 Häusern. Die Siedlung hatte keine Infrastruktur, es gab keinen Arzt, keine Apotheke, weder Schule noch Kirche. Erst 1929 erhielt Kranichstein Gasanschluss. Das größte Problem der Kranichsteiner war jedoch die fehlende Wasserversorgung. Während Arheilgen seit 1911 mit Frischwasser aus DA versorgt wurde, mussten die Bewohner der Eisenbahnersiedlung darauf noch lange warten. Erst gegen Ende des Jahres 1936 waren alle Kranichsteiner an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen. Die Kanalisation wurde erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs fertig gestellt.

Am 24.05.1968 legten der Stadtplaner Ernst May, der hessische Innenminister Heinrich Schneider und OB Ludwig Engel den Grundstein für den Stadtteil Neu-Kranichstein, der auf der „Grünen Wiese“, auf Grund und Boden von Prinz Ludwig von Hessen entstand, den die Stadt 1965 für 16 Millionen DM gekauft hatte. Das Planungskonzept sah einen Stadtteil für ca. 18.000 Menschen mit bis zu 6.000 Arbeitsplätzen und kompletter Versorgung mit öffentlichen Einrichtungen vor. Leider gingen die Verhandlungen mit den Bauträgern nicht so rasch voran. Deshalb begann die Neue Heimat Südwest erst Mitte 1968 mit dem Bau der ersten Häuser auf der Grünen Wiese. Nachdem die ersten Mieter Ende 1969 eingezogen waren, begannen bereits im Jahr 1970 die Proteste, weil die Baufolgeeinrichtungen fehlten. Zwar verband ab 1970 eine Buslinie Kranichstein mit der Innenstadt, aber Geschäfte, Schulen, Post, Kindergärten, Grünanlagen usw. ließen auf sich warten. Eine kleine Holzbaracke versorgte die ersten Mieter mit Lebensmitteln. Kranichstein schaffte es als Beispiel für missratenen Städtebau bis in die überregionalen Medien und ins Fernsehen und wurde als „Milliardenfehlplanung“, als „Mieterverwahranstalt“ und als „Darmstadts unterernährte Satellitensiedlung“ bezeichnet. Auf die massiven Proteste der Bewohner reagierte die Stadt mit einem veränderten Strukturkonzept. Die Planungen für den Stadtteil wurden reduziert, der Verkehr in den Wohnbereichen eingeschränkt, man verzichtete auf den weiteren Bau von Hochhausscheiben zugunsten kleinteiliger Bebauung. Heute leben etwa 10.000 Bewohner in Kranichstein. Mittlerweile gibt es die lange vermisste Infrastruktur, es gibt seit 1980 das Ökumenische Gemeindezentrum und seit 1998 das Bürgerzentrum am See. Weitere Baugebiete entstanden, z. T. unter Berücksichtigung alternativer Konzepte für den Wohnungs- und Siedlungsbau. Seit Dezember 2003 verbindet die neue Straßenbahnlinie Kranichstein mit der Innenstadt und dem Hauptbahnhof. Aufgewertet wurde der Stadtteil auch dadurch, dass Verwaltung und Kreistag des Landkreises DA-Dieburg seit 2004 hier ihren Sitz nahmen.

Lit.: Noack, Winfried: Landgraf Georg I. von Hessen und die Obergrafschaft Katzenelnbogen (1567-1596), Darmstadt 1966; Andres, Wilhelm/Stumme, Hermann: Kranichstein. Geschichte eines Stadtteils, Darmstadt 1993; Engels, Peter: 600 Jahre Kranichstein. In: Sommerspiele Jagdschloß Kranichstein (Programmheft), hrsg. von der Interessengemeinschaft Kulturveranstaltungen Jagdschloß Kranichstein, Darmstadt 1999; Lohmann, Eberhard: Landgraf Georg I. und die Anfänge von Jagdschloß Kranichstein, Darmstadt 2003; Clausmeyer-Ewers, Bettina: Wildpark und Schlossgarten Kranichstein, München/Berlin o.J .