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Fotografie in Darmstadt

Als Residenzstadt, in der der Großherzogliche Hof und die bürgerliche Beamtenschaft den Ton angaben, bot auch DA um die Mitte des 19. Jahrhunderts alle gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für den in dieser Zeit aufkommenden Fotografenberuf. Die erste Fotografengeneration, die das neue Gewerbe professionalisierte und vom Ruf des Schaustellergewerbes befreite, rekrutierte sich noch fast ausschließlich aus Vertretern anderer Berufe. Es waren anfänglich v. a. Künstler verschiedenster Sparten, Mechaniker und Chemiker, die auf die Fotografie umsattelten oder diese als zusätzliche Einnahmequelle entdeckten. Der seit 1852 in Bessungen tätige Carl Friedrich Christian Alberti (*1806) begann als Kunstmaler, Carl Beyer (1826-1903) diente am Hoftheater als Bühnendekorateur, Franz Backofen (1806-1881) firmierte zuerst als Maler und Hofmusikus, auch Sekki Herz (1804-1873, Hachenburger) war anfänglich eigentlich Musiker. Wenig bekannt ist, dass auch der Bildhauer Johann Baptist Scholl d. J. (1840-1912) sein künstlerisches Talent seit etwa 1873 in den Dienst der Porträtfotografie stellte. Heinrich Blumenthal und Wilhelm Thomas besaßen eine Vorbildung als „Mechanikus“, aus dem Chemiefach kamen Karl Backofen (1845-1926), Wilhelm Reißig und Friedrich W. Soldan. Ein kurioser Sonderfall ist Susanne Homann (1866-1923), die die Fotografie neben dem Hebammenberuf ausübte. Die meisten der nach 1860/70 tätigen Fotografen gehören jedoch bereits der zweiten Generation mit fachlicher Ausbildung in einem der älteren Ateliers an. Wie man den Adressbüchern des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts entnehmen kann, bewegte sich die Zahl der Darmstädter Fotografen und -ateliers in dieser Zeit zwischen 13 (1880) und 22 (1930). Zusätzlich zu den in diesem Artikel erwähnten Fotografen und Fotografinnen seien noch die folgenden genannt: Robert Schnupp (1826-1892), Wilhelm Rudolph (1830-1915), Wilhelm Cronenberg (1836-1915), August Semmler (1842-1919), Heinrich Umbreit (1858-1912), Wilhelm Weimer (1865-1932), Maria Stirtz (1922-1983), Ludwig Bauer (1904-1991) und Luise Brockmeyer (*1879).

Neben den bürgerlichen Auftraggebern, die die Darmstädter Fotografen hauptsächlich mit Porträtaufträgen versorgten, haben auf öffentlicher Seite v. a. der Hof, die Stadtverwaltung und die Presse das wirtschaftliche Rückgrat der Darmstädter Fotografenszene gebildet. Seit 1912 erfuhr die Fotografie zudem wissenschaftliche Würdigung an der TH Darmstadt durch die Einrichtung eines Lehrstuhls für Fotografie. In der besonderen Gunst des Großherzoglichen Hofs standen die beiden Porträtfotografen Franz und Karl Backofen, aber auch Eduard Zinsel (1858-1950) und Wilhelm Pöllot (1848-1935) haben häufig für das Haus Hessen gearbeitet. Ernst Ludwig, der letzte regierende Großherzog, war selbst begeisterter Amateurfotograf, wovon zahlreiche Familien- und Reisealben im Großherzoglichen Haus- und Familienarchiv Beweis ablegen. Mit Bildern der großherzoglichen Baulichkeiten beauftragte Ernst Ludwig gerne Joseph Magnus, (1842-1932), einer seiner Favoriten war ferner der Bingener Jugendstilfotograf Jakob Hilsdorf. Aus dem Kreis der von Ernst Ludwig bevorzugten Fotografen sind ferner zu nennen: Heinrich Hohmann, Paul Winter und Hugo Thiele. Auf Seiten der Stadt DA war die Fotografie v. a. im Rahmen der Dokumentation öffentlicher Baumaßnahmen von Belang. Begonnen wurde damit 1861, als man den Durchbruch der Woogstraße an der Stadtmauer von Georg Markwort (1820-1878) in vier großformatigen Aufnahmen festhalten ließ, von denen eine Serie auch an Großherzog Ludwig III. ging. Joseph Magnus konnte diesen sporadischen Anfängen später Dauer verleihen: Er dokumentierte im Auftrag der Stadt nicht nur die vor dem Ersten Weltkrieg begonnenen Sanierungsmaßnahmen im Bereich der Darmstädter Altstadt, sondern hielt für die Verwaltungsberichte auch die kommunalen Neubauten dieser Zeit im Bild fest. In neuerer Zeit beteiligten sich wiederholt auch die Ateliers von Rudolf Rost und Hans Kenner an der öffentlichen Architekturdokumentation. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Stadt die Dokumentation des öffentlichen Bauwesens zeitweise in eigener Regie übernommen und zwar mit fest angestellten Fotografen innerhalb der Stadt- und Kreisbildstelle bzw. des Büros für Unterrichtshilfen. Letzteres wurde allerdings 1994 aufgelöst und hat bislang noch keine Nachfolgereinrichtung gefunden.

Fotografen, die der modernen Tagespresse oder ihren Bildagenturen zuarbeiteten, lassen sich in DA seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs nachweisen. Ereignisfotografie hatte es in DA bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gegeben, v. a. der bereits erwähnte Joseph Magnus hat Staatsbesuche, Trauerzüge, Denkmalseinweihungen und Fastnachtsumzüge seiner Zeit dokumentiert – seine statuarisch anmutenden Aufnahmen waren allerdings für den Direktverkauf und nicht für den Abdruck in der Presse bestimmt. Erst mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 und dem Auftreten Eduard Zinsels liegen aus DA Ereignisfotografien vor, die den für ein modernes Reportagefoto bezeichnenden dramatischen Momentcharakter besitzen. Horst Weißgärber (1909-1944), dessen Tätigkeit sich hauptsächlich während des Dritten Reichs abspielte, war wohl der erste hauptberufliche Pressebildberichterstatter, der von DA aus operierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Peter und Walter Ludwig eine neue Pressebildstelle (pbs-Pressebildstelle) in DA gegründet und insbesondere das „Darmstädter Echo“ mit Fotos von Tagesereignissen beliefert. Die Einrichtung des Lehrstuhls für angewandte und theoretische Fotografie an der TH Darmstadt (1912) zeigte, inwieweit aus der Fotografie und den damit verknüpften Berufen, Gewerben und Industrien bereits ein wissenschaftlich förderungswürdiger gesellschaftlicher Faktor geworden war. Als Gründungsdirektor des nur bis 1935 bestehenden Instituts wurde Fritz Limmer berufen, der das Institut auch bis zu seiner Emeritierung 1932 leitete. In diesem zeitlichen Zusammenhang ist es ferner erwähnenswert, dass mit Albert Renger-Patzsch (1897-1966) einer der bedeutendsten deutschen Fotografen aus der Schule der „Neuen Sachlichkeit“ zeitweise in DA lebte und arbeitete. Gemeinsam mit den Fotografinnen Elisabeth Angermann, Susanne Poetzsch und Johanna Siemens hatte sich Renger-Patzsch im Auftrag des Folkwang-Verlags von 1922 bis 1924 im ehemaligen Palais Rosenhöhe, Erbacher Straße 50, eingerichtet. Über den Zweck seiner fotografischen Arbeit liegen keine Informationen vor, auch hat Renger-Patzsch leider keine fotografischen Spuren in den Darmstädter Archiven hinterlassen. Von den 26 Fotografen und Fotografinnen, die das Darmstädter Adressbuch 1942 unter „Photographische Ateliers“ auflistet, sind acht beim Bombenangriff vom 11./12.September 1944 ums Leben gekommen (Eva Collmann, Fritz Emrich, Karl Hagelstein, Gustav Hampel, Theodor Perabo, Friedrich van der Smissen, Karl Stockhausen, Horst Weißgärber), bei neun weiteren wurden die Ateliers völlig ausgebombt. In dieser Tatsache dürften die Gründe für das Fehlen dokumentarischer Aufnahmen vom Bombenangriff 1944 zu suchen sein, aber auch die mangelhafte Bildüberlieferung aus dem Zeitraum der Weimarer Republik (Volksstaat Hessen) und des Dritten Reichs hängt wohl mit der außerordentlich hohen Verlustquote Darmstädter Fotografen und -ateliers bei dem Luftangriff von 1944 zusammen.

Lit.: Großkinski, Manfred / Sander, Birgit: Frühe Fotografie im Rhein-Main-Gebiet 1839-1885, Katalog Haus Giersch, Frankfurt/Main 2003.