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Stromversorgung

Die Erfindung des dynamoelektrischen Prinzips durch Werner von Siemens 1866 und die Entwicklung der ersten funktionstüchtigen Glühlampe durch Thomas Alva Edison schufen die Voraussetzungen für die industrielle Nutzung der Elektrizität, damals vor allem für Beleuchtungszwecke. Edison erbaute und leitete 1882 in New York das erste öffentliche Elektrizitätswerk der Welt. Das erste deutsche Elektrizitätswerk entstand 1884 in Berlin, dann folgte bereits DA, weil hier die Rahmenbedingungen für die Einführung der zentralen Elektrizitätsversorgung günstig waren. Eine Vorreiterrolle fiel der Main-Neckar-Bahn (Eisenbahn) zu, die 1876 Telegrafen mit elektrischer Signalverbindung und 1884 die erste Station für die elektrische Beleuchtung des Bahnhofs in Betrieb nahm. Auch die Brauerei Dischinger und die Maschinenfabrik der Gebrüder Seck betrieben elektrische Anlagen. Dem Einfluss Erasmus Kittlers, der seit 1882 den ersten deutschen Lehrstuhl für Elektrotechnik an der TH Darmstadt innehatte, kommt ebenfalls große Bedeutung für die Einführung der Stromversorgung zu. Aufgrund seines Gutachtens beschloss die Stadtverordnetenversammlung 1887 die Errichtung einer Centralstation für elektrische Beleuchtung, die im August 1888 in Betrieb genommen werden konnte. Vier Dampfmaschinen mit zusammen 380 PS (300 kW) versorgten gut 100 Kunden in der Innenstadt zwischen Bismarck-, Neckar-, Riedesel-, Mühl-, und Alexanderstraße mit Strom für ihre elektrischen Glüh- oder Bogenlampen, allen voran das Großherzogliche Hoftheater und das Neue Palais in der Wilhelminenstraße.

Die Kapazität der Centralstation betrug 7.500 Lampen, wovon das Hoftheater alleine 3.047 betrieb. Trotz der hohen Kosten stiegen Kundenzahl (1897: 361) und Stromverbrauch laufend an. Bereits im Februar 1890 mussten eine Dampfmaschine und zwei Dynamos nachgerüstet werden. Wegen der bevorstehenden Einführung der elektrischen Straßenbahn waren 1896 erneut Erweiterungen nötig. 1903 bis 1906 wurden schließlich ein neues Kesselhaus und Maschinenhaus (die späteren HEAG-Hallen) sowie neue Kühlwerke errichtet. Die Leistung des Werks stieg auf knapp 2.000 kW. Allerdings konnte das bisherige Gleichstromnetz wegen der geringen Reichweite weder die Betriebe im neuen Industriegebiet im Nordwesten der Stadt noch die neu hinzugekommenen Stadtteile (Bessungen, Paulus-, Johannes- und Komponistenviertel) mit Strom versorgen. Außerdem hatte die Wechsel- bzw. Drehstromtechnik (Dolivo-Dobrowolsky) sich längst als vorteilhafter für den Stromtransport und den Betrieb von Elektromotoren erwiesen. Deshalb errichtete die Stadt 1907 bis 1909 am Dornheimer Weg ein zweites Elektrizitätswerk, das mit zwei Dampfturbinen von je 2.500 PS arbeitete, die jeweils einen Drehstrom- und einen Gleichstromgenerator antrieben. Mit der Gesamtleistung von 4.000 kW versorgte es die Bahnanlagen und das entstehende Industriegebiet mit Strom.

Seit 1912 gehörten beide Elektrizitätswerke der Hessischen Eisenbahngesellschaft, der HEAG (HEAG AG, Entega), deren Aufgabe die Elektrifizierung der Dampfbahn und der Ausbau des Straßenbahnnetzes sowie die Übernahme der Stromversorgung war. Die HEAG begann mit dem Aufbau einer Überlandversorgung für das südliche Hessen. Bis 1918 waren bereits 40 Ortsnetze an ihr Netz angeschlossen. Die abgegebene Jahresenergiemenge, die 1888 mit bescheidenen 75.756 kWh begonnen hatte, lag 1912 schon bei 2,7 Millionen und stieg über 5,8 Millionen im Jahr 1914 bis auf über 10 Millionen kWh im Jahr 1918. Zur Bewältigung dieses Strombedarfs reichte die Eigenproduktion nicht mehr aus. Die HEAG verband ihre Stromnetze deshalb mit dem Elektrizitätswerk Rheinau bei Mannheim und anderen Unternehmen, bezog ihren Strom von dort und legte zunächst 1915 die veraltete Centralstation in der Schuchardstraße still, im Februar 1931 auch das Elektrizitätswerk II. 1927 konnte ein neues Verwaltungs- und Kundendienstgebäude an der Luisenstraße eingeweiht werden.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 führte wie überall zu einem merklichen Rückgang des Stromverbrauchs der Industrie. Einen Ausgleich suchte man durch die verstärkte Förderung des Haushaltsstromverbrauchs zu schaffen. Deshalb wurde die Werbung von Privatkunden für Haushaltsstrom und die Anschaffung elektrischer Haushaltsgeräte verstärkt. Die forcierte Werbung für Elektrogeräte ist auch auf dem Hintergrund der von den Nationalsozialisten (Nationalsozialismus) geförderten Elektrizitäts-Verbundwirtschaft zu sehen. Die Großunternehmen produzierten angesichts der Weltwirtschaftskrise große Überhänge an Strom, die später für die in Schwung kommende Rüstungsindustrie zur Verfügung stehen sollten, sodass die Stromerzeugung nicht heruntergefahren werden durfte.

Obwohl im Zweiten Weltkrieg die Darmstädter Stromleitungen und Stromverteilanlagen weitgehend zerstört wurden, funktionierte bereits kurz nach Kriegsende die Stromversorgung in Teilen DAs wieder. Der Strombezug war bis 1949 durch mehr oder weniger ausgedehnte Rationierung gekennzeichnet. Nach der Freigabe schnellte die Abgabe steil in die Höhe von 98 Millionen kWh 1944 über 204 Millionen kWh 1952 auf 574 Millionen kWh 1961. 1967 war schließlich die erste Milliarde erreicht. 1997 wurden von der HEAG 770.000 Menschen in 66 Kommunen mit Strom versorgt. Heute erinnern nur noch einige erhaltene Bauwerke, allesamt unter Denkmalschutz stehend, an die Anfänge der Darmstädter Stromversorgung: die als Bürgerhaus (Altes Schalthaus) genutzte Umspannstation am Dornheimer Weg, eines der wenigen expressionistisch beeinflussten Bauwerke in DA, ehemalige Straßenbahnhallen in Arheilgen, Eberstadt und Griesheim und die heute als Markt- und Kulturhalle (Centralstation) genutzten ehemaligen HEAG-Hallen im Carree.

Lit.: Engels, Peter: 100 Jahre HEAG. Chronik 1912-2012, Darmstadt 2012.