Pionier der Elektrotechnik
* 25.06.1852 Schwabach/Nürnberg
† 13.03.1929 Darmstadt
Nach Ausbildung und Tätigkeit als Volksschullehrer studierte Erasmus Kittler Mathematik, Physik und Chemie in München und Würzburg. 1879 wurde er Assistent am Physikalischen Kabinett der TH München, promovierte 1880 an der Universität Würzburg und habilitierte sich 1881 an der TH München. Unter Leitung von Wilhelm von Beetz und Oskar Miller fand im Münchener Glaspalast im Oktober 1882 eine Internationale Elektrizitätsausstellung statt, die an den Erfolg der ersten derartigen Ausstellung 1881 in Paris anknüpfte. In München wurden erstmals die technischen Kennwerte der ausgestellten Maschinen und Anlagen exakt vermessen und verzeichnet – eine Aufgabe, mit der von Beetz seinen Mitarbeiter Kittler betraute, der diese Aufgabe mit Bravour löste und mit vielen führenden Physikern in Kontakt kam. Dabei fiel er auch dem Darmstädter Physikprofessor Ernst Dorn und dem TH-Rektor Wilhelm Staedel auf, die mit Unterstützung des Großherzoglichen Staatsministeriums und der Stadt DA die Einrichtung eines neu zu schaffenden Lehrstuhls für Elektrotechnik planten, um den wiederkehrenden Bestandskrisen der TH Darmstadt entgegenzuwirken. Die Berufung auf diesen Lehrstuhl nahm Kittler noch 1882 an, gleichzeitig wurde eine selbstständige Abteilung für Elektrotechnik mit eigenem Studienplan gegründet – damals einzigartig an einer TH. Im Januar 1883 begann Kittler seine Vorlesungen, denen nicht nur Studierende, sondern auch Darmstädter Beamte, Offiziere, Professoren und Politiker mit Interesse folgten.
DA als Zentrum dieser neuen, zukunftsorientierten Wissenschaft entwickelte sehr rasch eine große Anziehungskraft für Studenten aus dem ganzen Reich und aus dem Ausland. Rapide steigende Studentenzahlen und der Bedarf an Laboratorien für praxisnahe Ausbildung ließen die Raumnot umso drängender fühlbar werden. Der Erfolg der elektrotechnischen Abteilung wurde zu einem entscheidenden Argument für den 1895 eingeweihten Neubau der gesamten Hochschule, der durch Erweiterungsbauten bis 1904 ergänzt wurde, v. a. durch den elektrotechnischen Hörsaal mit 309 Plätzen im von Friedrich Pützer erbauten Uhrturm (Technische Universität, alte Gebäude). Kittler widmete sich nicht nur intensiv der Ausbildung junger Elektrotechniker, sondern sorgte auch dafür, dass DA zu den frühen Wegbereitern der Elektrifizierung gehörte: Der Bau der Centralstation zur Produktion und Bereitstellung von elektrischem Strom 1888 entstand auf seine Initiative (Stromversorgung). Kittler war zudem gefragt als Berater, Gutachter und Projektleiter bei der Planung und Durchführung von Großprojekten der Energieversorgung im öffentlichen und industriellen Bereich. Diese umfangreiche nebenamtliche Tätigkeit verband er immer wieder mit der Lehre, indem er seine Studenten mit den aktuellen Fragen der Errichtung von Elektrizitätssystemen vertraut machte und mit ihnen Exkursionen zu den Werken durchführte, an denen er beratend oder ausführend mitwirkte. Aus seiner Schule stammen Michael von Dolivo-Dobrowolsky, Karl Wirtz, seit 1894 zweiter Professor für Elektrotechnik in DA, sowie der seit 1899 dritte TH-Professor für Elektrotechnik Adolf Sengel, und Waldemar Petersen, sein Nachfolger ab 1918. 1899 wurde Kittler zum Mitglied der ersten Kammer der Stände auf Lebenszeit ernannt und kämpfte erfolgreich gegen ausländerfeindliche und antisemitische Strömungen im Parlament. 1915 wurde er emeritiert, die TH Darmstadt verlieh ihm aus diesem Anlass den Dr.-Ing. e. h. 1919 wurde die Kittlerstraße im Martinsviertel nach ihm benannt. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Waldfriedhof in DA. Zum 150. Geburtstag Erasmus Kittlers wurde 2002 eine holografische Kittler-Licht-Installation des Künstlers Michael Bleyenberg eingeweiht und das Hörsaalgebäude der Elektrotechnik an der Landgraf-Georg-Straße nach ihm benannt. Seit 1977 wird die Erasmus-Kittler-Medaille als besondere Auszeichnung für Verdienste um die Hochschule verliehen.
Lit.: Andreas Göller: Praxis, Theorie, Innovation – Zur Geschichte der Elektrotechnik an der TH Darmstadt 1882-1945. In: Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde 65, 2007, S. 165-198; Werner Hübschmann: Die Bedeutung von Prof. Kittler und seiner Schüler für die Entwicklung der wissenschaftlichen Starkstromtechnik. In: Wessel, Horst A. (Hg.): Elektrotechnik im Wandel der Zeit (Geschichte der Elektrotechnik, 4), Berlin 1986, S. 37-48; Werner Hübschmann: Kittler, Erasmus (1852-1929). In: Jäger, Kurt/Heilbronner, Friedrich (Hgg.): Lexikon der Elektrotechniker, 2. Aufl. Berlin 2010, S. 228-229; König, Wolfgang: Technikwissenschaften. Die Entstehung der Elektrotechnik aus Industrie und Wissenschaft zwischen 1880 und 1914, Chur 1995; Schott, Dieter: Die Vernetzung der Stadt: kommunale Energiepolitik, öffentlicher Nahverkehr und die „Produktion“ der modernen Stadt. Darmstadt – Mannheim – Mainz 1880-1918, Darmstadt 1999; Darmstädter Ehrengräber, Darmstadt 2016 (Darmstädter Schriften 105), S. 106-109.