Stadtlexikon Darmstadt

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Brandnacht

Der Begriff „Brandnacht“ wurde 1964 von dem Journalisten Klaus Schmidt in seinem gleichnamigen Buch geprägt. Er bezeichnet das furchtbarste Ereignis der Darmstädter Geschichte, die totale Zerstörung der alten Haupt- und Residenzstadt in der Nacht vom 11. zum 12.09.1944 durch englische Bomber. Insgesamt musste DA im Zweiten Weltkrieg 35 Luftangriffe und 1.567 Luftalarme über sich ergehen lassen. Dagegen waren die Bewohner nur unzureichend geschützt. Weil DA Luftschutzort zweiter Ordnung war, konnte die Stadtverwaltung nur wenige öffentliche Schutzräume errichten, auf öffentlichen Plätzen wurden Löschteiche angelegt. Die meisten Bewohner mussten die Keller ihrer Häuser zu provisorischen Schutzräumen herrichten. Am 30.07.1940 gingen erstmals Bomben auf DA nieder. Dieser und die folgenden Angriffe, bei denen es sich um Zufalls- oder Notabwürfe überfliegender feindlicher Flugzeuge handelte, richteten zunächst nur Sachschäden an. Die englische Royal Air Force, die in den ersten Kriegsjahren den Luftkrieg über Deutschland alleine führte, war erst seit Herbst 1942 in der Lage, Ziele auch bei Nacht und schlechter Sicht relativ sicher zu identifizieren. Die ersten Darmstädter Luftkriegsopfer forderte ein englischer Angriff am 22.07.1941, bei dem im Martins- und Johannesviertel 10 Menschen getötet und 25 verwundet wurden. Der erste gezielte Großangriff auf DA erfolgte am 23.09.1943. Englische Flugzeuge warfen Brand- und Sprengbomben auf die Altstadt, das Martins- und Johannesviertel und die Gegend um die Nieder-Ramstädter Straße und richteten große Verwüstungen vor allem in der Altstadt an, die mit ihren eng zusammenstehenden Fachwerkhäusern den durch Brandbomben verursachten Feuern reichlich Nahrung bot. 149 Tote und 278 Verwundete waren zu beklagen, etwa 5.000 Menschen waren obdachlos. DA gehörte zu dieser Zeit bereits zu den Städten, die Arthur Harris, der seit Februar 1942 amtierende Chef des englischen Bomber Command, für eine Flächenbombardierung ausgesucht hatte. Mit der großflächigen Bombardierung von Wohngebieten sollte die Moral der deutschen Zivilbevölkerung untergraben werden. Man erhoffte sich, dass die Deutschen sich gegen ihre Machthaber erhoben oder zumindest in ihren Kriegsanstrengungen nachließen, eine angesichts des in Deutschland herrschenden totalitären Regimes abwegige Einschätzung (Nationalsozialismus).

Mit dem Eintritt der USA in den Luftkrieg gegen Deutschland und der Eroberung von Flugplätzen auf dem Festland nach der Alliierten Invasion am 06.06.1944 nahmen Luftalarme und Bombenangriffe in Deutschland in beängstigendem Maß zu. DA erlebte in den ersten sieben Monaten des Jahres 1944 acht Luftangriffe. Für den 25./26.08.1944 plante das englische Bomberkommando die Zerstörung. Der Angriff der fast 200 Bomber schlug jedoch fehl, viele Maschinen luden ihre Bombenfracht über Orten der Umgebung ab. Es gab dennoch 8 Tote und 93 Verwundete, die Stadtkirche lag in Trümmern. Am 11. September stiegen erneut 221 Lancaster-Bomber und 14 Mosquito-Schnellbomber mit dem Ziel auf, DA zu bombardieren. Sie flogen ihr Ziel nach einer neuen Strategie der Bombardierung, der so genannten „Fächer-Methode“ an, bei der die Flugzeuge aus verschiedenen Richtungen anflogen, um von einem vereinbarten Drehpunkt aus fächerartig über das Stadtgebiet auszuschwärmen. Um 23.25 Uhr wurde in DA Luftalarm ausgelöst, um 23.55 Uhr warfen die ersten Maschinen ihre tödliche Fracht über DA ab, insgesamt 191 Luftminen, 33 Sprengbomben und fast 286.000 Brandbomben. Um 00.20 Uhr war der Angriff beendet. Gleich zu Beginn fiel die örtliche Luftschutzleitung aus, sodass keine zentralen Rettungsmaßnahmen koordiniert werden konnten. Weil die Menschen in den Luftschutzkellern weitere Detonationen hörten, die von einem in Brand geratenen Munitionszug stammten, harrten viele weiter in den Kellern aus. Etwa eine Stunde nach Angriffsbeginn entwickelten sich Tausende von Einzelbränden zum Feuersturm, in dessen Zentrum Temperaturen von über 1000 Grad erreicht wurden. Viele Menschen erstickten in ihren gut erhaltenen Luftschutzkellern oder wurden durch den gewaltigen Sog in die Flammen gerissen. Die Straßen der Innenstadt waren unpassierbar und Rettungsmaßnahmen daher nicht durchführbar. Nur am Rand der Feuerzone, in Bessungen, im Johannes- und Martinsviertel, waren überhaupt Rettungs- und Löscharbeiten möglich. Die Zahl der Opfer lag zwischen 11.000 und 12.000, im Verhältnis zur Größe der Stadt eine der höchsten Opferzahlen des Zweiten Weltkriegs überhaupt. Über 6.000 Gebäude waren unbewohnbar, 78 Prozent der Kernstadt zerstört. Die meisten Opfer wurden in einem großen, von russischen Zwangsarbeitern ausgehobenen Massengrab beigesetzt. Die parteiamtliche Darmstädter Zeitung setzte dem Grauen der Brandnacht ebenso Durchhalteappelle entgegen wie NSDAP-Kreisleiter Schilling bei der Trauerfeier auf dem Waldfriedhof (Friedhöfe), denen wohl kaum noch jemand Glauben schenkte.

Das gesamte öffentliche Leben kam zum Erliegen. Etwa 66.000 Bewohner verließen nach der Zerstörung die Stadt und zogen meist in den Odenwald oder an die Bergstraße. Die Zurückgebliebenen mussten am 13. und 19.09. und am 12. und 24.12.1944 weitere alliierte Luftangriffe über sich ergehen lassen, die hauptsächlich den Bahnanlagen und der Industrie im Norden und Nordwesten DAs galten und noch einmal etwa 400 Menschenleben forderten. Das letzte Bombenopfer starb am 24.03.1945. Als am Tag darauf amerikanische Panzertruppen einmarschierten und DA ein vorzeitiges Kriegsende bescherten, lebten noch 50.000 der 115.000 Vorkriegsbewohner in Kellerhöhlen, Gartenhäuschen und den weniger zerstörten Vororten. 15 Jahre sollte allein die Trümmerräumung in der Stadt dauern, der Wiederaufbau zog sich über Jahrzehnte hin. Seit 1954 erinnert die zum Mahnmal umgestaltete Ruine der Stadtkapelle an die Zerstörung DAs und die Opfer. 2004 wurde als weiteres Mahnmal eine Gedenkstele auf dem Friedensplatz errichtet.

Lit.: Deppert, Fritz/Engels, Peter: Feuersturm und Widerstand. Darmstadt 1944, Darmstadt 2004; Engels, Peter: 75 Jahre Brandnacht - Die Zerstörung Darmstadts im Zweiten Weltkrieg, Ausstellungskatalog, Darmstadt 2019.