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Sinti und Roma

Dieses Begriffspaar hat in den letzten Jahrzehnten in Deutschland den als diskriminierend angesehenen Begriff der „Zigeuner“ für die Gesamtheit einer Volksgruppe im Sprachgebrauch ersetzt, ohne die Diskriminierung selbst zu beseitigen. Der Begriff „Roma“ umfasst die Gesamtheit der Volksgruppe und bezeichnet darüber hinaus die Gruppen, die im 19. Jahrhundert aus Polen und Ungarn einwanderten, bzw. in den Balkanstaaten leben. Sinti nennen sich die zum Teil seit Jahrhunderten im deutschen Sprachraum lebenden Angehörigen der Roma, die zum größten Teil die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und besitzen. Ein großer Teil von ihnen war seit dem 19. Jahrhundert sesshaft geworden. Die Darmstädter Sinti lebten vorwiegend als Arbeiter und Handwerker in der Darmstädter Altstadt. Obwohl die Weimarer Reichsverfassung von 1919 alle deutschen Staatsbürger vor dem Gesetz für gleich erklärte und ihnen das Recht freier Niederlassung und Berufsausübung garantierte, hatten Sinti und Roma, ob sesshaft oder umher reisend, schon vor dem Ersten Weltkrieg, aber auch in der Weimarer Republik, unter fortschreitender Diskriminierung zu leiden. Das 1929 erlassene hessische „Gesetz gegen Landfahrer und Zigeuner“ diskriminierte nach dem Urteil von Verwaltungsjuristen auch die sesshaften „Zigeuner“ und verstieß gegen die Reichsverfassung. Die Nationalsozialisten weiteten die Diskriminierungsmaßnahmen gegen Sinti und Roma aus, Überwachung, Ausgrenzung und Einschränkung der persönlichen Freiheit nahmen zu. Im Anschluss an Himmlers „Auschwitz-Erlass“, dem Befehl vom 16.12.1942 zur Deportation der Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau, wurden im Frühjahr 1943 auch alle in DA lebenden Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert.

Seit Kriegsende lebten wieder zahlreiche Sinti in DA, zum Teil abgeschoben an den Rand der Stadt (Schlichtwohnungen am Akazienweg/Michaelisstraße) und damit auch an den Rand der Gesellschaft. Im Zuge eines von der EKHN organisierten „Musikfestes der Zigeuner“ im Oktober 1979 stellte die Stadt DA fahrenden Roma-Familien mit bis zu 130 Angehörigen nacheinander mehrere Standplätze zur Verfügung und wies den Roma auch Wohnungen und Häuser zu. Das Zusammenleben mit den Nachbarn und der Aufenthalt in der Stadt gestaltete sich aufgrund wechselseitigen Unverständnisses und fehlender Einsicht in die Lebensgewohnheiten des jeweils Anderen schwierig und war mit Konflikten beladen, die bundesweit hohe Wellen schlugen. Bis April 1984 verließen schließlich die Roma-Familien DA wieder.

In den letzten Jahrzehnten sind Sinti und Roma als Opfer des NS-Rassismus stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten. Davon zeugen die Aktivitäten des Zentralrats der Sinti und Roma ebenso wie Veranstaltungen im Rahmen der Darmstädter Erinnerungsarbeit. Das Mahnmal in der Großen Bachgasse vor der Stadtbibliothek gibt seit 1997 dem Gedenken an die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma einen Erinnerungsort, ebenso das 2004 eingeweihte Denkzeichen Güterbahnhof.

Lit.: Heuß, Herbert: Darmstadt. Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti in Darmstadt. Hrsg. von Adam Strauß, 2. Aufl., Seeheim 2005; Karola Frings, Ulrich Friedrich Opfermann (Hrsg.): Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933-1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung, Paderborn 2012; Clausen, Malte / Strauß, Rinaldo: Kampf um Anerkemmumg. Vier Jahrzehnte Bürgerrechtsarbeit des Hessischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, hrsg. Verband Deutscher Sinti und Roma, LV Hessen, Marburg 2020.