DA gehörte gewiss nie zu den Metropolen des Jazz in Deutschland, taucht auf der Landkarte des internationalen Jazzgeschehens eigentlich erst auf, als die Stadt 1983 die Sammlung des renommierten Jazzkritikers und -produzenten Joachim Ernst Berendt (1922-2000) ankaufte, 1988 auf der Mathildenhöhe die weithin beachtete Ausstellung „That's Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts“ organisierte und zwei Jahre später das Jazzinstitut DA gründete, das bald zu einer der angesehensten Anlaufstellen der Jazzforschung weltweit, zum einzigen Dokumentationszentrum dieser Musik in der Bundesrepublik Deutschland und zum größten öffentlichen Jazzarchiv Europas werden sollte.
Anfänge des Jazz in Darmstadt
Aber auch vor diesen städtischen Initiativen gab es ein Jazzleben in DA. Erste Berührungspunkte mit afro-amerikanischer Musik datieren vom Februar 1878, als die Fisk Jubilee Singers, eine Gruppe schwarzer Sänger aus Nashville, Tennessee, die zur Finanzierung einer der ersten schwarzen Universitäten der Vereinigten Staaten durch Europa reiste, im Großherzoglichen Hoftheater in DA gastierte. Die Fisk Jubilee Singers gaben Spirituals zum Besten, religiöse schwarze Gesänge, die in ihren Arrangements ein wenig geglättet, europäischen Ohren zugänglich gemacht wurden. Nach dem Konzert wurden die Sänger der Großherzogin Alice vorgestellt und mussten, da der Großherzog beim Abend nicht hatte anwesend sein können, eine Woche später ein Wiederholungskonzert geben, bei dem sie auch vom Prinzen von Wales und dem Herzog von Connaught gehört wurden.
Der Jazz selbst aber entwickelte sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts aus Vorformen wie schwarzen Kirchen- und Arbeitsgesängen, Spiritual, Ragtime und Blues. In Amerika wurde Jazz in den Jahren zwischen 1910 und 1920 zur populären Musik des Tages, die bald auch in die Alte Welt zurückstrahlte und in den Metropolen Europas als exotische Tanzmusik goutiert und gefeiert wurde. Einige der schwarzen US-amerikanischen Revuetruppen, die in den 1920er Jahren durch Europa reisten, machten auch in DA Station. Sie spielten im Orpheum an der Äußeren Ringstraße 98 (Washingtonplatz), neben dem Frankfurter Schumann-Theater eines der wichtigen Revuetheater in der Region. Hier war am 8. und 9. Mai 1927 die Revue „Black People“ zu sehen, in der Sidney Bechet mitwirkte, der weltberühmte Klarinettist und Sopransaxophonist aus New Orleans. Vom 17. bis 24. Juli 1928 trat Sam Wooding mit seinem „Neger-Orchester“ im Orpheum auf, der 1931 ein weiteres Mal kam, diesmal mit seinem „Chocolate Kiddies Orchester“. Bands wie diese brachten auch dem Darmstädter Publikum erstmals authentischen amerikanischen Jazz näher, während die meisten deutschen Unterhaltungskapellen, die sich der neuen Mode annahmen, von Improvisation oder der spezifisch afro-amerikanischen Rhythmik wenig verstanden und im besten Falle brav, oft hölzern und ungelenk klangen.
Der Jazz erklingt im Verborgenen
Den Nationalsozialisten war der Jazz als „minderwertige“ Musik verhasst, sie sahen seine afro-amerikanischen Wurzeln und die vielen jüdischen Protagonisten, aber sicher auch den wilden Individualismus jazzmusikalischer Improvisation als „entartet“ an. Dennoch gab es auch in den 1930er Jahren noch deutsche Tanzkapellen, die Jazz spielten. Kurt Hohenberger und seine Solisten beispielsweise, eine gemäßigte Swingband, trat Ende der 1930er Jahre zusammen mit Rosita Serrano im Orpheum auf, Bernhard Etté 1940, im selben Jahr auch Peter Kreuder mit seinem Solistenorchester. War der Jazz im Dritten Reich auch offiziell unerwünscht, so konnten die Kontrolleure der Reichsmusikkammer, die durch die Städte streiften, wirklichen Jazz kaum von der offiziell sanktionierten Tanzmusik unterscheiden. Die Besetzungen der Kapellen waren oft ähnlich, und die Musiker sahen sich vor, bei Kontrollen auf wilde „Hot-Soli“ zu verzichten. Man spielte amerikanische Hits, gab ihnen aber deutsche Namen: Aus „Whispering“ wurde so „Süße Träume“, wie der Darmstädter Pianist Helmut Duyster (1925-2005) bezeugt, oder aus „Some of These Days“ „An irgendeinem Tag“. Duyster hatte bereits Anfang der 1940er Jahre mit einigen Freunden eine kleine Combo gegründet. Schallplatten kauften sie bei Bossler am Bismarckplatz, wo es Jazzplatten unter dem Ladentisch gab. Die jungen Musiker nahmen ein Engagement in der Tanzschule Bäulke wahr, wo sie jeden Sonntagnachmittag unter dem Bandnamen „Goldene Sieben“ auftraten (einen Namen, den sie sich von der in den 1930er Jahren sehr beliebten Band von Kurt Hohenberger entliehen hatten). Neben Duyster spielte in dieser Band der Trompeter Ludwig „Lui“ Fassold (1923-1988), der später im Tanzorchester von Willy Berking wirkte, der Saxophonist Heinz Kostorz (1922-1998), sowie der Kontrabassist Shorty Roeder, der in den 1950er Jahren in den modernen Bands von Jutta Hipp und Hans Koller aktiv war und nach Ende seiner musikalischen Laufbahn bis Ende der 1980er Jahre im Plattenladen von „Radio-Lorz“ Schallplatten verkaufte.
Nach dem Krieg: Jazz in den Barracks
Nach der Brandnacht lag das kulturelle Leben in DA bis Kriegsende weitestgehend brach. Helmut Duyster, der im Krieg verletzt wurde, kam 1945 nach DA zurück und fragte bereits im Juni/Juli 1945 bei den amerikanischen Besatzern an, ob sie nicht für einen ihrer Clubs lieber Livemusik als Schallplattenuntermalung wünschten. Duyster und andere Musiker aus dem Darmstädter Raum nahmen die Chance wahr, ihre Liebe zum Jazz mit der Nachfrage der Amerikaner nach aktueller Swingunterhaltung zu verbinden. Es gab damals etliche Soldatenclubs in DA, darunter den Stork Club in der späteren „Goldenen Krone“, einen schwarzen Club im Heinrichwingertsweg, weitere Clubs im Oberwaldhaus, in der Cambrai-Fritsch-Kaserne, in Eberstadt oder das Chateau Meau im Press Club der Stars & Stripes in Pfungstadt, wo im August 1948 sogar der Gitarrist Django Reinhardt zu hören war, allerdings nur für amerikanische Armeeangehörige.
Alle diese Clubs boten ein regelmäßiges Unterhaltungsprogramm mit Livemusik, teilweise sogar mit Varietéshows. Die engagierten Künstler waren in den meisten Fällen Deutsche. Sie wurden durch die Special Services, die Agentur der amerikanischen Streitkräfte, engagiert und auf die verschiedenen Kasernen der Region verteilt. Die Bands in Besetzungen zwischen Quartett und Septett spielten Swingmusik, erhielten Noten aus dem Bestand der Special Services, oft auch abgelegte so genannte „stock arrangements“ amerikanischer Bands. Die Musiker wurden so recht schnell zu Profis ihres Faches. Sie spielten zum Essen, zum Zuhören, begleiteten Varieténummern, reagierten auf Wünsche aus dem amerikanischen Publikum. In den Armyclubs fand sich noch bis weit in die 1960er Jahre hinein Arbeit für deutsche Musiker, allerdings wandelte sich der Musikgeschmack schon Anfang der 1950er Jahre erst zum Hillbilly, dann zu Rock- und Beatmusik.
hot circle darmstadt
Aus vor allem studentischen Kreisen entstand 1947 der erste hot circle darmstadt (hcd), in Anlehnung an ähnliche Clubs in anderen Städten (insbesondere in Frankfurt/Main). Der hcd, der von den Behörden der amerikanischen Militärbesatzung genehmigt wurde, hatte 1948 bereits 87 Mitglieder, die sich anfangs in Privatwohnungen, ab Sommer 1948 auch im Amerikahaus (John-F.-Kennedy-Haus), das damals zunächst in der Diesterwegschule, dann in der Goldenen Krone untergebracht war, trafen, um gemeinsam Schallplatten zu hören und über sie zu sprechen. Der Club gründete sich 1950 ein zweites Mal, jetzt nach bundesdeutschem Vereinsrecht. Immer noch trafen sich die vor allem studentischen Mitglieder in der Goldenen Krone, nach 1951 dann im neu eröffneten Amerikahaus Ecke Kasino-/Rheinstraße. Gemeinsame Plattenabende, Vorträge durch einzelne der Mitglieder, aber auch Live-Sessions machten den hot circle bald auch in der breiteren Öffentlichkeit DAs beliebt. Das Studentenwerk der TH Darmstadt stellte dem hcd 1951 einen Keller unter der Otto-Berndt-Halle zur Verfügung, der unter dem Namen „Miroir“ bis 1962 als Clubraum fungierte. Bei Vortragsabenden, von denen es bis zum Ende der aktiven Zeit des hcd ca. 30 bis 50 pro Jahr gab, wurden die Größen des Jazz mit Plattenbeispielen vorgestellt, von Heroen wie Louis Armstrong, Duke Ellington über Modernisten wie Charlie Parker oder Stan Kenton bis zu den ersten Beispielen des Free Jazz der 1960er Jahre. Der hot circle fungierte damit als Club Gleichgesinnter, öffnete das Interesse aber auch für Jazzgeschichte, für neue Entwicklungen, für andere Spielarten der Musik. Als Vorsitzender fungierte anfangs Werner Wunderlich (1926-2013), der später nach Frankfurt ging, dort 1959 die noch heute existierende Konzertreihe „Jazz im Palmengarten“ gründete und 1978 Nachfolger Joachim Ernst Berendts als Jazzredakteur des Südwestfunks in Baden-Baden wurde.
Seit Mai 1954 veranstaltete der hcd Konzerte in der Otto-Berndt-Halle, die mit durchschnittlich 1.200 Besuchern ein großes Publikum anzogen. Hier spielten Größen des deutschen Jazz wie die Two Beat Stompers, das Jutta Hipp Quintett, die Helmut Brandt Combo, das Michael Naura Quintett, aber auch ein amerikanischer Spiritual-Chor, der Klarinettist Albert Nicholas aus New Orleans, die französische Band des Pianisten Armand Gordon, die Dutch Swing College Band oder eine Bluesband mit Howlin' Wolf und Hubert Sumlin. Für viele Darmstädter waren diese Konzerte in der Otto-Berndt-Halle in den Jahren von 1954 bis 1967 eine Einführung in die afro-amerikanische Musik, oft ein Einstieg in den Jazz oder einfach nur begeisternde Konzerterfahrungen. Seit 1954 organisierte der hcd außerdem jährlich ein Himmelfahrtspicknick, bei dem ein „band waggon“ in der Tradition von New Orleans durch die Straßen DAs zog. Bei anschließendem Vatertagspicknick im Roßdörfer Wald oder auf der Ludwigshöhe waren nicht nur Darmstädter Musiker zugegen, auch Kollegen aus Frankfurt/Main machten mit oder 1955 beispielsweise die Düsseldorfer Feetwarmers mit dem jungen Klaus Doldinger an Klarinette und Saxophon.
Aus den Reihen des hcd gründete sich 1956 außerdem eine eigene Band, die Long Louis Jazz Babies, deren Mitglieder damals Schüler des Ludwig-Georg-Gymnasiums waren. Zu den aktiven Musikern der 1960er Jahre gehörten außerdem der Saxophonist Hartmut Reeb, der Trompeter Heinz Pellkofer und der Schlagzeuger Lothar Scharf (1942-2009), der bis in ins neue Jahrtausend hinein etliche junge Schlagzeuger in DA beeinflusst hat. 1962 musste das „Miroir“ aufgrund von Umbaumaßnahmen aufgegeben werden, der hcd zog erst in einen Keller im Studentenwohnheim in der Dieburger Straße 241, dann in ein kleineres Gewölbe am Mathildenplatz 5. Die Konzerte wurden moderner und fanden in kleinerem Kreis statt. Man traf sich im Jam Pott in der Alexanderstraße, wo zum 20-jährigen Jubiläum 1970 auch das Dave Pike Set mit dem gebürtigen Darmstädter Volker Kriegel (1943-2003) auftrat, der in den 1970er Jahren zu den wichtigsten Gitarristen Deutschlands werden sollte, oder im Studentenkeller im Schloss, wo moderne Gruppen wie die von Peter Brötzmann oder Gunter Hampel zu hören waren. 1972 löste sich der hcd auf, die Mitglieder aber trafen sich auch danach noch ab und zu, um Erinnerungen auszutauschen. 2004 organisierte das Jazzinstitut eine Ausstellung über den hcd im Weißen Turm und veröffentlichte eine Broschüre, die in Wort und Bild die Geschichte und Aktivitäten des Clubs festhielt.
Jazzclub Darmstadt / Jazz mit Tradition
Die Lücke, die nach Auflösung des hcd entstand, schloss sich erst Mitte der 1970er Jahre wieder, als der Schlagzeuger Gerd Bankauf eine Anzeige aufgab, in der er einen Keller als Proberaum anbot. Die Reaktionen auf die Anzeige brachten 16 Musiker zusammen, „einen Haufen Leute“ also, aus denen bald die Band gleichen Namens wurde („En Haufe Leit Jatzmussigg“), die außerdem als Keimzelle des Darmstädter Jazzclubs fungierten. An der Band waren anfangs drei Klarinettisten, zwei Posaunisten, drei Banjospieler und zwei Schlagzeuger beteiligt, nach und nach verringerte sich die Besetzung auf eine musikalisch machbarere Größe.
Der Jazzclub DA wurde 1975 als „Verein zur Pflege und Förderung des Jazz“ gegründet. Die Musiker suchten schon 1976 nach einem festen Domizil und fanden dieses drei Jahre später im Gewölbekeller unter dem Achteckigen Haus, einem barocken Gartenhaus in der Mauerstraße 17. Sie bauten den Keller in Eigeninitiative zum Probenraum aus. Der Jazzclub entwickelte bald zahlreiche Aktivitäten. Der Jazzvadderdaach zog jedes Jahr bis zu 5.000 Besucher an die Grube Prinz von Hessen, beim Jazzpicknick kam ein großes Publikum an das Oberwaldhaus, der Jazzbandball, der jährlich am Rosenmontag in der Bessunger Turnhalle veranstaltet wurde, war meist lange vor dem Termin ausverkauft. Mit dem Heinerfest-Jazzfestival (bis 2002), der Konzertreihe City Jazz in der HEAG-Passage (später „Jazz in the City im Carree“) belebte der Club die Innenstadt, und das Jazzpicknick, das seit 2002 jeweils zu Himmelfahrt auf der Mathildenhöhe stattfindet, ist bis heute ein beliebtes Feiertags-Ausflugsziel.
In den späten 1980er und 1990er Jahren organisierte der Jazzclub darüber hinaus Großveranstaltungen im Kongresszentrum (Luisencenter), darunter Konzerte mit Lionel Hampton, Dave Brubeck, Gerry Mulligan und dem Modern Jazz Quartet. 1984 gründete er die Darmstadt Big Band, die bis 1990 von Norbert Hanf, seither von Peter Linhart geleitet wurde und die CDs mit Gästen wie Bob Mintzer oder Herb Geller vorgelegt hat. Bands wie En Haufe Leit Jatzmussigg, Mr. Jelly's Jam Band, die Woog City Stompers oder Sound Set 75 waren bzw. sind den traditionelleren Stilrichtungen des Jazz verhaftet, von New Orleans bis Swing. Sie sind regelmäßig im Winterprogramm des Jazzclubs im mittlerweile noch weiter ausgebauten Gewölbekeller unter dem Achteckigen Haus zu hören.
Jazzinstitut Darmstadt
Mit der Gründung des Jazzinstituts DA im Herbst 1990 sicherte sich DA seinen Platz auf der internationalen Landkarte des Jazz. Die Stadt hatte bereits 1983 die Sammlung des Jazzkritikers und -produzenten Joachim Ernst Berendt (1922-2000) angekauft, die ursprünglich als Erweiterung des renommierten Internationalen Musikinstituts (IMD) gedacht war. Zugleich wurde bis Ende der 1980er Jahre das Sekretariat der Internationalen Jazzförderation in DA angesiedelt. 1985 veranstaltete das IMD die Internationalen Jazztage, 1988 zeigte die Mathildenhöhe, basierend auf dem Grundstock der Berendt-Sammlung die weltweit beachtete Ausstellung „That's Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts“. Diese resultierte nicht nur in einem umfangreichen Katalog, der bis heute ein Standardwerk zur Jazzgeschichte ist, sondern wurde auch von einer Konzertreihe begleitet, bei der Größen des Jazz aus allen Stilistiken auftraten, Buddy Tate genauso wie Dizzy Gillespie, Ornette Coleman oder Art Blakey. Die Ausstellung war letztlich auch Grundstein der Entscheidung, die Jazzsammlung in eine eigene städtische Einrichtung einmünden zu lassen, das Jazzinstitut Darmstadt. Dieses fand seine ersten Räumlichkeiten im vierten Stock des John-F.-Kennedy-Hauses, zog 1987 in das restaurierte Bessunger Kavaliershaus (Bessunger Jagdhof), das neben angemessenen Archiv- und Benutzerräumen auch einen eigenen Konzertsaal bietet.
Das Jazzinstitut ist weltweit das drittgrößte öffentliche Archiv zum Jazz (nach dem Institute of Jazz Studies in Newark, New Jersey, und dem William Ransom Hogan Jazz Archive an der Tulane University von New Orleans) und in Europa eine einzigartige Anlaufstelle. Es versteht sich nicht nur als Forschungsstelle, sondern als Dokumentations- und Informationszentrum zum Jazz, steht daneben jedem Besucher offen, beantwortet Fragen praktischer wie theoretischer Art und veranstaltet mit dem Darmstädter Jazzforum die weltweit einzige regelmäßige Fachkonferenz zum Jazz. Das Jazzinstitut ist daneben aber auch eine lokale Größe, seine Konzertaktivitäten strahlen nicht nur in die weite Welt, sondern auch auf die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Darmstadt, die es als städtische Kultureinrichtung tragen. Zusammen mit dem Kulturzentrum Bessunger Knabenschule und dem Darmstädter Kontrabassisten Jürgen Wuchner (1948-2020) veranstaltet es etwa den jährlichen Sommerworkshop „Darmstädter Jazz Conceptions“, außerdem die populäre Konzertreihe „JazzTalk“, bei der Musiker nicht nur zum Spielen in den Gewölbekeller des Jazzinstituts geladen werden, sondern nach der Pause auch über ihre musikalischen Vorstellungen erzählen.
Das Jazzinstitut veröffentlicht eine wissenschaftliche Buchreihe („Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung“, bislang zwölf Bände) und publiziert regelmäßig den „Wegweiser Jazz“, ein Standardwerk zur aktuellen deutschen Jazzszene, das inzwischen in eine umfassende Internet-Datenbank überführt wurde. Das städtische Institut organisiert Ausstellungen, sowohl Wanderausstellungen wie „German Jazz / Deutscher Jazz“, die zwischen 2006 und 2012 in zwei Exemplaren für das Goethe-Institut durch die ganze Welt tourte, oder „hot circle darmstadt... oder wie der Jazz an den Woog kam“, die auch als Ausstellungsbroschüre veröffentlicht ist, als auch Ausstellungen in der kleinen Galerie im Bessunger Kavaliershaus. Das Institut ist Mitherausgeber eines Buchs über die Frankfurter Jazzgeschichte („Der Frankfurt Sound. Eine Stadt und ihre Jazzgeschichte(n)“) und international erste Anlaufstelle, wenn es um Informationen zur Jazzforschung geht. So wenden sich Studenten des einzigen jazzwissenschaftlichen Studiengangs in den USA an der Rutgers University zuerst nach DA, um sich von hier aus ihre Literaturlisten für ihre wissenschaftlichen Arbeiten zusammenstellen zu lassen.
Im Jazzinstitut gründete sich der Verein German Jazz Meeting, der von 2006 bis 2008 unter Vorsitz von Arndt Weidler das gleichnamige Showcase-Festival in Bremen organisierte, eine erfolgreiche Aktion zur Unterstützung des deutschen Jazz. Das Institut versteht sich dabei auch als wichtige Lobbyorganisation für den Jazz und ist in beratender Funktion in Wiesbaden genauso wie in Berlin aktiv. Für die Aufbauarbeit an diesem überaus erfolgreichen Informationszentrum erhielt der Leiter des Jazzinstituts, Wolfram Knauer, im Jahr 2002 den Hessischen Jazzpreis. 2008 wurde er als erster Nichtamerikaner zum Louis Armstrong Professor for Jazz Studies an die Columbia University in New York berufen.
Förderverein Jazz / Die moderne Szene
Das Jazzinstitut arbeitet eng zusammen mit einer weiteren Jazzinitiative, die sich 1996 aus einem Kreis moderner Jazzmusiker gegründet hatte: dem Verein zur Förderung des zeitgenössischen Jazz in Darmstadt e.V. (kurz: Förderverein Jazz). Dieser richtete gleich nach seiner Gründung 1996 (und erneut in den Jahren 2002 und 2012) das Hessische Jazzpodium aus, organisierte nach dem Umzug des Jazzinstituts ins Bessunger Kavaliershaus in dessen Gewölbekeller die monatlichen Bessunger Jam Sessions sowie regelmäßige Konzerte mit regionalen wie nationalen Musikern und Bands. Bei den Sessions treffen sich viele der Musikerinnen und Musiker, die durch Workshops des Darmstädter Kontrabassisten Jürgen Wuchner zum praktischen Jazz kamen. Wuchner, der in den 1970er Jahren mit Hans Koller und dem Vienna Art Orchestra spielte, organisiert seit den 1980er Jahren regelmäßige Workshops, in denen er Improvisation und Zusammenspiel vermittelt. Sein Workshopkonzept ging 1992 in den Jazz Conceptions auf, deren künstlerischer Leiter er ist. Zusammen mit dem Pianisten Uli Partheil (* 1968) gründete er 1998 die Jazz and Pop School als einen Zusammenschluss von Jazzlehrern, die Schülern aus der Region Instrumental- und Improvisationsunterricht anbieten. Wuchner leitete daneben bis 2013 auch einen Jazzkurs an der Akademie für Tonkunst. Wuchner wurde 2012 mit dem Darmstädter Musikpreis ausgezeichnet, den vor ihm bereits der in DA geborene, in Berlin lebende Vibraphonist Christopher Dell (2005) sowie der Pianist Uli Partheil (2008) erhalten haben.
Seit 1999 organisieren Darmstädter Schulorchester in der Orangerie bzw. seit 2011 in der Centralstation ein jährliches Jazzkonzert, bei dem deutlich wird, dass es an Nachwuchs für diese Musik in dieser Stadt nicht mangelt. Spielorte für Jazz sind neben Jazzclub und Jazzinstitut zum Beispiel der Jagdhofkeller (seit 1985), die Bessunger Knabenschule (Jazzkonzerte seit 1987), das Vinocentral (seit 2009), sowie für die großen Veranstaltungen vor allem die Centralstation (seit 1999), deren internationales Programm ein Publikum im ganzen Rhein-Main-Gebiet erreicht und das nicht nur wenn Weltstars wie Wayne Shorter oder Herbie Hancock nach DA kommen. DAs Jazzszene gehört zu den aktivsten Hessens. Dank der Initiativen aus Kreisen von Jazzfreunden und Musikern entwickelte sich in der Stadt ein Interesse und eine Aufgeschlossenheit gegenüber traditionellen genauso wie aktuellen Spielweisen dieser Musik, die anderswo ihresgleichen sucht. DA ist auch bei auswärtigen Musikern für sein Publikum bekannt, das bereit ist, sich auf das Risiko des Zuhörens einzulassen. Diese Offenheit erklärt sich aus der Geschichte des Darmstädter Verhältnisses zu zeitgenössischer Kultur genauso wie aus den vielfältigen Aktivitäten, die aus der Jazzszene heraus, aber auch immer wieder mit Unterstützung oder in Initiative durch die Stadt entstanden.