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Tribunal

Im Januar 1919 erschien das erste Heft der spätexpressionistischen Zeitschrift „Das Tribunal“ und setzte mit ganz anderer Zielsetzung fort, was 1918 mit dem letzten Flugblatt der Dachstube endete: Die Sammlung und Verdichtung geistig Gleichgesinnter, die für Frieden, Freiheit und Völkerverständigung eintraten und kämpften. Carlo Mierendorff, der Herausgeber des Tribunals, nannte seine Zeitschrift, von der nur zwei Jahrgänge erschienen sind, im Untertitel „Hessische radikale Blätter“. Der Blick war – in der Tradition eines Georg Büchner und Helfrich Peter Sturz – auf die gemeinsame Zukunft gerichtet, die es galt, nach dem Kriegsgeschehen des Ersten Weltkriegs, neu zu gestalten. Kasimir Edschmid, der, wie der Schriftsteller Wilhelm Michel, mit dem Kreis schon seit längerer Zeit sympathisierte, bekundete im Eröffnungstext zum Tribunal: „Ich habe ein Lächeln und Bewunderung über Ihre Kühnheit. Den Geist dieser Stadt und dieses Landes zu revolutionieren, scheint mir eine große Utopie.“ Carlo Mierendorff handelte politisch und trat in einem Text, der das Tribunal ankündigte, radikal für eine neue und bessere Welt ein. Beiträge für die Zeitschrift kamen zunehmend aus ganz Deutschland. Kurt Hiller, Johannes R. Becher, Otto Flake, Willi Wolfradt, Carl Zuckmayer, Max Krell, Alfred Wolfenstein, René Schickele und Iwan Goll sind nur einige Namen, die verdeutlichen, dass das Tribunal das geistige Deutschland vertrat. Das erklärte Ziel Mierendorffs und Theodor Haubachs und ihrer Mitarbeiter war, die Kunst und Literatur zu revolutionieren und die Welt mit neuen politischen Ideen zu verändern.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Verbindungen zu Frankreich und zu anderen europäischen Ländern geknüpft. Für kurze Zeit übernahmen die Darmstädter Expressionisten (Expressionismus) die Vertretung der internationalen Clarté-Bewegung. Eines der wichtigsten politischen Ziele des Tribunal-Kreises war ein geeintes geistiges Europa, für das sie intensiv eintraten. Das Tribunal war ein Organ der Revolution, einer geistigen Revolution, die am Beginn der 1920er Jahre von zu wenigen mitgetragen wurde. Neben dem Rechtsruck, vor allem in der akademischen Jugend, die Mierendorff mit den Ideen, die er im Tribunal vertrat, ansprechen wollte, ging eine wirtschaftliche Notlage einher. Auch der dringende Appell an Geldgeber und Käufer, die Zeitschrift zu retten, schlug fehl. Ab Sommer 1920 erschien das Tribunal unregelmäßig. Mit René Schickeles Komödie „Die neuen Kerle“ erschien die letzte Ausgabe des zweiten Jahrgangs als viertes bis siebentes Heft. Damit stellte das Tribunal 1921 sein Erscheinen ein. In einem Aufruf fasste Mierendorff die zwei Jahrgänge des Tribunals zusammen: „Es brachte nie Überflüssiges, Spaltenfüllendes, aus Verlegenheit Geheiligtes ..., sondern stets nur Brennendes, Wichtiges, Dinge von Rang und Notwendigkeit.“ Das Tribunal gehörte in den 1920er Jahren zu den zahllosen kurzlebigen Zeitschriften in Deutschland. Aufgrund der Qualität der Beiträge und der Bedeutung der Autoren, die dafür tätig waren, gehörte es zu den herausragenden Blättern der Weimarer Republik.

Lit.: Die Dachstube, Das Tribunal, (Agora, Heft 7/8), Darmstadt, 1956; Das Tribunal (Reprint), Darmstadt, Neudeln/Liechtenstein 1969.