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Kinos in Darmstadt

Bevor im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die raumgebundenen Kinos aufkamen, zählte die nach 1892 zu vorläufiger technischer Reife entwickelte Kinematographie noch zur Schaustellerei, und die mit Leinwänden und Projektoren umherziehenden Filmvorführer gaben Vorstellungen in Zelten oder gemieteten Sälen. Der erste Auftritt einer solchen Wanderfilmbühne in DA ist für das Jahr 1896 im Orpheum verbürgt. Von den Lichtspieltheatern wurden diese Wanderbühnen schnell in die Rolle einer Randexistenz gedrängt. Einer der letzten Kino-Wanderschausteller im Raum DA war der im Vernichtungslager Buchenwald umgekommene Sinto Anton Rose, dem die Nationalsozialisten 1936 Berufsverbot erteilten. Das von 1924 bis 1933 aktive und anfänglich von Wilhelm Leuschner geleitete „Hessische Wanderkino“ wurzelte in der Arbeiterbildungsbewegung und verstand sich als Gegengewicht zum frühen Kommerz- und Unterhaltungsfilm. Dessen Aufstieg vor und während des Ersten Weltkriegs ging mit der Pionierzeit der Kinosäle einher: das erste Darmstädter Kino – eigentlich nur ein bestuhltes Zimmer – eröffnete Ludwig Weber am 01.07.1907 im Geschäftshaus Lautz Ecke Rhein- und Grafenstraße unter dem Titel „Edison-Theater“. Mit dem Residenz-Theater am Weißen Turm ließ Weber 1910 das erste eigens zu diesem Zweck errichtete Kino folgen, und das Union-Theater Rheinstraße 6, in dem die Vorstellungen am 31.12.1912 anliefen, galt mit seinen 500 Sitzplätzen als erstes Darmstädter Großkino. Durch den Umbau des Kaisersaals Grafenstraße 18 zu den Palast-Lichtspielen kam 1918 die älteste der noch heute bestehenden Darmstädter Kinoadressen hinzu. Nach dieser ersten Arrondierung des Darmstädter Kinowesens wurde in den 1920er und 1930er Jahren von mehreren Geschäftsparteien um die Vormachtstellung auf diesem Markt gerungen. Christoph und Anna Reich investierten in den 1920er Jahren im großen Stil in das Kinogeschäft, mussten aber 1927 vor der finanziellen Überlegenheit der Hessischen Lichtspieltheater AG kapitulieren, die in diesem Jahr nicht nur die Helia-Lichtspiele Wilhelminenstraße 9 gründete (1.000 Sitzplätze), sondern wenig später auch die von der Familie Reich gehaltenen Anteile an anderen Darmstädter Kinos übernahm. Die marktbeherrschende Stellung der Hessischen Lichtspieltheater AG wurde bereits 1931 von der Stuttgarter Palast-Lichtspiele AG gebrochen, die bis 1933 alle Darmstädter Großkinos (Union, Helia, Palast) in ihre Hand brachte. Die Firma blieb seitdem auf dem Darmstädter Kinomarkt präsent und monopolisierte ihn als spätere Theile KG seit 1981 nahezu vollständig. Als vorübergehende Konkurrenz etablierte sich während der 1930er Jahre Heinz Dächerts Ton-Bild-GmbH. Ihr gehörte das am 11.03.1933 eröffnete Belida in Bessungen und das 1938 im umgebauten Mathildenhöhsaal Dieburger Straße 26-28 eingerichtete Thalia.

Die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war geprägt vom Wiederaufbau der zerstörten Innenstadtkinos – allein das Bessunger Belida hatte die Luftangriffe unbeschadet überstanden – aber erst die Währungsreform vom Juni 1948 vermochte eine wahrhaftige Wiedereröffnungswelle unter DAs Kinos auszulösen: So gingen zwischen August und Dezember 1948 das Thalia, das Union und die Palast-Lichtspiele wieder in Betrieb. Letztere wechselten allerdings von ihrer alten Adresse in den benachbarten Fürstensaal (später Roxy). Im Kaisersaal, wo die Palast-Lichtspiele vor Kriegsende residiert hatten, kam die Filmvorführung erst 1954 unter dem neuen Namen Rex wieder in Gang. Der vom Fernsehen noch unbeeinträchtigte Besucherboom der 1950er Jahre fand seinen Ausdruck in drei Kinoneueröffnungen im Jahr 1956: Pali, Europa und Rio. Letzteres wollte sich nur dem „besonders wertvollen“ Film widmen, konnte sich mit dieser Geschäftspolitik allerdings nur vier Jahre auf dem Markt behaupten (heute halbNeun-Theater). Der Kinokrise der 1960er Jahre begegneten die Kinoeigner seit den frühen 1970er Jahren mit dem nachfragegerechten Nutzungskonzept der Diversifizierung, indem sie an Stelle der alten Großkinos so genannte Kino-Center mit mehreren Schauräumen unterschiedlicher Größe („Schuhschachtelkinos“) errichteten (Helia-Kinocenter, 1973-78, Rex-Kinocenter, 1981). Die mittlerweile mit ausländischer Beteiligung operierende Theile-Kette erhielt Ende der 1990er Jahre vorübergehend Konkurrenz an ihrem nunmehrigen Firmensitz DA, als sie den Wettlauf um die Errichtung des ersten Darmstädter Multiplex-Kinos gegen den Kinobetreiber Hans-Joachim Flebbe verlor. Mit dessen „Cinemaxx“ auf dem Gelände der Darmstädter Brauerei – öffentliche Premiere konnte am 10.02.2000 gefeiert werden – kam die Darmstädter Kinogeschichte nicht nur rein formal im 21. Jahrhundert an, sondern auch was den Einsatz modernster Kinotechnik und die zugehörigen Vermarktungsstrategien anbetraf. Schon im September 2000 mussten die Betreiber des Cinemaxx allerdings die langjährige lokale Kompetenz ihres alteingesessenen Konkurrenten anerkennen und die Geschäftsführung des Cinemaxx an die „Theile-Kinowelt-Kinopolis“ übergeben.

Den Anfang der Arheilger Kinogeschichte setzte die Eberstädter Firma Wich & Kämmerling, die sich im November 1919 die Lizenz für die Einrichtung eines Kinematographentheaters in der Gaststätte Grüner Baum in Arheilgen erteilen ließ. 1923 folgte an gleicher Stelle Georg Ammann mit seinem Biograph-Filmtheater, das alsbald in Casino umbenannt wurde und unter diesem Namen bis 1972 bestand. In Eberstadt fanden Filmvorführungen zuerst 1915 und 1919 in den Gaststätten „Zur Harmonie“ und „Zum Bismarck“ statt. Das erste wirkliche Kino Eberstadts eröffnete 1919 die Familie Roßmann unter dem Namen Odeon in der Heidelberger Landstraße. Nur weil das Gebäude des Odeon über Jahrzehnte hin Familienbesitz blieb, konnte es allen Kinokrisen zum Trotz bis Mitte der 1980er Jahre fortgeführt werden. Im Gegensatz hierzu musste das 1950 von Karl Knell im Saal des „Bergsträßer Hof“ gegründete Scala seine Pforten bereits 1967 wieder schließen.

Seit etwa 1965 wurde auch in den Darmstädter Kinos die Abspielung von Sexfilmen üblich und als ein Zeichen der freieren Sexualmoral der 1960er Jahre gewertet. Während der Sexfilm in den großen Darmstäder Kinos immer nur als ein Genre unter anderen lief und zudem oft im Nachtprogramm versteckt wurde, räumte man dieser Filmsparte im Roxy seit etwa 1968 Ausschließlichkeit ein. Diese Sonderstellung behielt das Kino auch bei, nachdem der Gesetzgeber 1975 die öffentliche Vorführung „einfacher Pornographie“ erlaubt hatte: Aus dem Roxy wurde nun DAs einziges Porno-Kino. Mit der Übernahme der Rex-Kinos durch die Theile KG ging die Porno-Ära im Roxy zu Ende und es kehrte 1991 unter dem neuen Namen Bambi wieder in den Kreis der „schicklichen“ Darmstädter Kinos zurück.

Der Erfolg des 1971 eröffneten Kommunalen Kinos in Frankfurt/Main löste in den frühen 1970er Jahren auch in DA Diskussionen um die Einrichtung eines öffentlich getragenen Kinos aus. Magistrat und Kulturamt lehnten das Vorhaben zunächst mit der Begründung ab, dass in DA bereits mehrere Einrichtungen vorhanden seien, die zusammengenommen den Bildungsauftrag eines kommunalen Kinos wahrnahmen. Verwiesen wurde auf das seit 1965 bestehende VHS-Filmforum, den 1955 eingeführten Studentischen Filmkreis der TH Darmstadt, die 1967 begonnene Reihe „Filmmuseum“ des Hessischen Landesmuseums und die regelmäßigen Filmvorführungen im Jugendhaus „huette“. Die Frage des Kommunalen Kinos erhielt neue Relevanz, als 1979 die Inhaber des City-Studios die Schließung ihres Kinos aufgrund mangelnder Rentabilität ankündigten. Das 1955 ursprünglich als Tageskino gegründete City nahm in der Darmstädter Kinoszene einen besonderen Rang ein: Seit 1961 war es von den Inhabern Walter und Anneliese Ritter ausschließlich als anspruchsvolles Programmkino geführt worden und hatte hierfür seit 1972 mehrfach Auszeichnungen des Bundesinnenministeriums erhalten. Als sich nun 1979 abzeichnete, dass das City nicht ohne öffentliche Zuschüsse würde weiter bestehen können, kam seitens der Stadt DA der Plan auf, das VHS-Filmforum mit dem City zu einem Kommunalen Kino zu verschmelzen. Das Projekt scheiterte jedoch frühzeitig, da sich die vorgesehenen Partner nicht auf einen tragfähigen „modus operandi“ einigen konnten. Als kleinere Lösung sicherte man die Existenz des City nach Saarbrücker Beispiel mit einem städtischen Zuschussmodell, das dem City ein Senioren- und Jugendprogramm angliederte. Diese Regelung hielt bis zum Auslaufen der Mietverträge des City und seiner damit einhergehenden Schließung im Jahr 1985. Der Gedanke des Kommunalen Kinos und der filmkünstlerische Anspruch des City leben gegenwärtig in der von der Stadt subventionierten Filmreihe „Stadtkino“ innerhalb der Vorstellungen des REX-Kinos fort.

Lit.: Bartnik, Norbert / Dormann, Wolfram: Darmstädter Kinogeschichte, Teil 1-7. In: Darmstädter Echo, 4.6., 25.6., 23.7., 20.8., 27.8., 24.9., 5.11.1983.