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Datterich

Als der Datterich im April 1841 erschien, war weder seine heutige Popularität abzusehen noch die Tatsache, dass das Stück, gewürdigt als die genialste Lokalposse Deutschlands und das beste Dialektlustspiel, Eingang in die deutsche Literaturgeschichte finden würde. Erst durch die Aufführungen der Hessischen Spielgemeinschaft ab 1925 erhielt der Datterich seine heutige Popularität. Unvergessen sind in der Rolle des Datterich Joseph Offenbach und Robert Stromberger, die das Stück zu einem Publikumsmagneten werden ließen. Ohne seinen Datterich wäre Ernst Elias Niebergall längst in Vergessenheit geraten. Trockener Humor, sarkastische Selbstironie und der derbe Dialekt machen den Charme des Stücks aus; sie sind die Zutaten, die v. a. die Figur des Datterich so unverwechselbar darmstädterisch machen. In ihm hat Niebergall so etwas wie eine Darmstädter Leitfigur geschaffen, und die Sympathie für diesen „Siwwesortelumb“ ist bis heute ungebrochen.

Urbild des Datterich war der Kanzleigehilfe Friedrich Hauser, nicht wegen äußerlicher oder charakterlicher Ähnlichkeiten, sondern weil seine Hände durch übermäßigen Alkoholgenuss zitterten, er also den „Datterich“ hatte, wie die Darmstädter sagen. Der Datterich ist ein Schnorrer und Schuldenmacher, er trinkt, spielt Karten, mogelt dabei und verbringt den Tag lieber im Wirtshaus als in seiner ärmlichen Dachkammer. Seine Sorge ist die tägliche Frage: „Wie werd mer sich dann heit dorchschlage?“ Trotz seiner Unverfrorenheiten, seiner Intrigen und seiner Lügen erweckt er die Sympathie, ja die Bewunderung des Betrachters viel mehr als die ordentlichen und untadeligen Klein-Bürger um ihn herum. Man kann dem Datterich nichts übel nehmen, ihm nicht böse sein, „er besitzt ein gewisses Charisma, eine geheime Größe, die den Widerspruch zu seinen Gaunereien, zu seinem Schnorren, Betrügen und Intrigieren verträgt“. Während Niebergalls Stück mit dem Rauswurf des Datterich endet, gab ihm Robert Stromberger einen versöhnlicheren Schluss und trug damit den Sympathien des Publikums für „seinen Datterich“ Rechnung. Er fügte noch eine Szene vor dem Wirtshaus an, in der der Datterich mit seinem Spruch „Sie hawwe mer so e bekannt Physionomie, ich mahn, ich misst Ihne kenne“ ein neues Opfer findet und sich so auch „heit widder dorchschlage kann“. 2015 feierten die Darmstädter Niebergalls Stück und seinen 200. Geburtstag mit einem „Datterich-Festival“ und einer Neuinszenierung durch die Hessische Spielgemeinschaft.

Lit.: Niebergall, Ernst Elias: Der Datterich im Darmstädter Biedermeier, hrsg. von Georg Hensel, Darmstadt 1975; Becker, Rudolf: Ernst Elias Niebergall. Bilder aus einem unauffälligen Leben, Darmstadt 1998; Ernst Elias Niebergall. Eine Spurensuche, hrsg. Gösta Gantner, Silke Peters, Peter Engels, Darmstadt 2015; Ernst Elias Niebergall. Gesammelte Schriften. Hrsg. von Ulrich Joost, 2 Bde, Darmstadt 2015.