(geb. Prinzessin von Sachsen-Coburg und Gotha, gesch. Großherzogin von Hessen und bei Rhein)
* 25.11.1876 Valletta (Malta)
† 02.03.1936 Amorbach
Victoria war das dritte Kind von Herzog Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha (1844–1900), einem Sohn der Queen Victoria, und der russischen Großfürstin Maria Alexandrowna (1853–1920), einer Tochter des russischen Kaisers Alexander II. Sie wuchs in Großbritannien auf, ab 1886 auch auf Malta, wo ihr Vater als Konteradmiral zeitweilig stationiert war. Nach der Insel Malta hatte Victoria auch ihren zweiten Vornamen Melita (die Malteserin) erhalten. 1889 zog die Familie nach Coburg, da Victorias Vater als Thronfolger im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha vorgesehen war. 1893 gelangte er dort zur Regierung.
Die im Familienkreis „Ducky“ genannte Prinzessin wurde die erste Frau des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, ihrem Cousin väterlicherseits. Sie schloss diese Ehe, die bereits 1893 auf Betreiben von Queen Victoria angebahnt worden war, mit 17 Jahren am 19. April 1894 auf Schloss Ehrenburg in Coburg. Mit Victoria Melita kam eine emotionale und eigenwillige junge Frau an den Darmstädter Hof, „deren Stimmung zwischen Übermut und Melancholie schwankte“ (David Duff) und die ihre Schwester Maria von Rumänien als sehr ernst, geradlinig und eine „jugendliche Vorkämpfernatur“ charakterisierte. Sie war eine passionierte Reiterin und Tennisspielerin, interessiert auch an Kunst und Kunstgewerbe.
Am 11. März 1895 wurde die gemeinsame Tochter Elisabeth (1895–1903) im Neuen Palais zu Darmstadt geboren. Victoria Melita erlitt später eine Fehlgeburt, am 25. Mai 1900 eine weitere mit einem totgeborenen Prinzen, der drei Tage später im Garten des Alten Mausoleums auf der Rosenhöhe beigesetzt wurde.
In den gut sieben Jahren ihrer Ehe fand das Paar nicht dauerhaft zueinander, was an ihren unterschiedlichen Charakteren und Temperamenten gelegen haben mag, aber sicherlich auch daran, dass sich Ernst Ludwig zu Männern hingezogen fühlte und diesen Empfindungen nachging. Victoria konnte diese Seite ihres Mannes nicht akzeptieren und hatte sich ihrerseits in Großfürst Kyrill von Russland (1876–1938) verliebt, der diese Zuneigung erwiderte. Die Ehe wurde schließlich nach dem Tod von Queen Victoria am 21. Dezember 1901 durch das Oberlandesgericht Darmstadt geschieden. Victoria kehrte zu ihrer Mutter nach Nizza und dann nach Coburg zurück. Prinzessin Elisabeth lebte abwechselnd bei Ihrer Mutter und ihrem Vater.
Ernst Ludwig war nach der Scheidung darauf bedacht, die Erinnerung an seine Frau im Großherzogtum möglichst auszulöschen. So sind im großherzoglichen Familienarchiv heutzutage von Victoria Melita keine Korrespondenzen oder andere Aufzeichnungen mehr erhalten. Örtlichkeiten und Einrichtungen, die ihren Namen trugen, wurden umbenannt: Der Victoria Melita-Weg auf der Mathildenhöhe wurde 1903 zum Prinz-Christians-Weg; die Victoria Melita-Anlage beim Böllenfalltor verschwand aus den Stadtplänen; der Melita-Turm, ein Aussichtsturm auf dem „Langen Berg“ zwischen Seeheim und dem Frankenstein, wurde in Elisabethen-Turm umbenannt. Lediglich der Melita-Brunnen von 1894 am Fuß des Prinzenbergs in Eberstädter Gemarkung entging der Umbenennung.
Der Victoria-Melita-Verein, Heilstättenverein für das Großherzogtum Hessen, der sich der Errichtung von Lungenheilstätten und Genesungshäusern verschrieben hatte, verlor seinen Namen ebenso wie der Victoria Melita-Verein, Hessischer Central-Verein für Errichtung billiger Wohnungen, der, 1901 errichtet, bereits 1902 in Ernst Ludwig-Verein, Hessischer Centralverein für Errichtung billiger Wohnungen, umbenannt wurde (aufgelöst 1920). Ebenso wurde die im Jahre 1900 als Victoria-Melita-Stift bei Nieder-Ramstadt begründete epileptische Anstalt 1905 in Epileptischen-Anstalt umbenannt.
Nachdem Prinzessin Elisabeth 1903 im Kindesalter an Typhus verstorben war und sich Ernst Ludwig in zweiter Ehe mit Eleonore von Solms-Hohensolms-Lich verehelicht hatte, heiratete Victoria am 8. Oktober 1905 in Tegernsee Großfürst Kyrill, wiederum einen Cousin von ihr (mütterlicherseits). Die vom russischen Kaiser und seiner Frau Alix, einer Schwester Großherzogs Ernst Ludwigs, missbilligte Vermählung, führte zunächst zur Aberkennung von Kyrills und Victorias Titeln und Privilegien, und ihrer Verbannung aus Russland, so dass das Paar sich in Coburg niederließ, wo Victoria am 2. Februar 1907 die erste Tochter zweiter Ehe, Maria Kirillowna (1907–1951), zur Welt brachte. Am 9. Mai 1909 folgte in Paris die Geburt der zweiten Tochter, die auf den Namen Kira Kirillowna getauft wurde (1909–1967). Rehabilitiert nach einer Intervention des englischen Königs Edwards VII., kehrten Victoria und Kyrill 1909 nach Russland bzw. St. Petersburg zurück. Kyrill stand mittlerweile an dritter Stelle der russischen Thronfolge. Während des Ersten Weltkriegs war Victoria, wie es für adlige Frauen durchaus üblich war, in der Krankenpflege aktiv. Nach der Oktoberrevolution floh die Familie nach Finnland, wo der einzige Sohn des Paares, Wladimir Kirillowitsch (1917–1992) geboren wurde. Kyrills Hoffnungen, nach einem Sieg der Weißen Bewegung in Russland über die Bolschewiki als Zar zurückkehren zu können, erfüllten sich nicht. Das Paar nahm im Herbst 1919 zunächst in Coburg bei Victoria Melitas Mutter ihren Wohnsitz, später in Nizza. Als Thronprätendent ernannte Kyrill sich selbst 1924 zum Kaiser im Exil. Einen neuen Lebensmittelpunkt fand das Paar ab 1925 in St. Briac-sur-mer in der Bretagne. Victoria, die an Depressionen litt, verstarb 1936 während eines Besuchs bei ihrer Tochter in Amorbach.
Zunächst beigesetzt im herzoglichen Mausoleum in Coburg, in dem 1938 auch ihr Mann ruhen sollte, erfolgte 1995 die Umbettung beider Särge in die Peter- und Paul-Kathedrale in St. Petersburg.
Victoria Melitas Nachlass ist verstreut. Briefe an ihre Schwester Maria, Königin von Rumänien finden sich beispielsweise im Rumänischen Nationalarchiv Bukarest, Briefe an ihre Schwester Alexandra, Fürstin von Hohenlohe-Langenburg, im Hohenlohe-Zentralarchiv Schloss Neuenstein.
Weitere Unterlagen finden sich ebenfalls in den Royal Archives in Windsor und im Staatsarchiv Coburg.
Lit.: Knetsch, Carl: Das Haus Brabant: Genealogie der Herzöge von Brabant und der Landgrafen von Hessen, Darmstadt 1918–1931, S. 362 f. [mit Angaben zu Victoria Melitas Auszeichnungen und Dekorationen], S. 367; Duff, David: Die Enkel der Queen. Lebensbilder einer deutschen Fürstenfamilie, Düsseldorf 1968, S. 209–212, 231–237; Kiste, John van der: Princess Victoria Melita: Grand Duchess Cyrill of Russia 1876–1936, Stroud 1991; Hohenschuh, Karl Heinz: Viktoria Melita. In: Schützt Darmstadt 3 / 1994, S. 427–439; Sullivan, Michael John: A Fatal Passion. The Story of Victoria Melita, the Uncrowned Last Empress of Russia, New York 1997; Holzauer, Heinz / Franz, Eckhart G.: Ernst Ludwig und Victoria Melita. Eine landesherrliche Ehescheidung im Jahre 1901 zwischen Feudalrecht und bürgerlichem Recht. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF 63, 2005, S. 217–254; Franz, Eckhart G.: Das Haus Hessen. Ein biographisches Lexikon, Darmstadt 2012, Nr. HD 91, S. 375-377; Knöß, Carsten: Zur Erinnerung an Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein und seine Familie: Sonderausgabe zum 80. Jahrestag des Flugzeugabsturzes von Ostende (Notizen zur Ortsgeschichte 30), Langen 2017, S. 22-38; Adler, Lars: Die Medaille von 1894 und das Erinnerungszeichen von 1905 anlässlich der beiden Eheschließungen Großherzog Ernst Ludwigs von Hessen und bei Rhein. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF 75, 2017, S. 107–136.