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Gastarbeiter

Auslöser für die Arbeitsmigration war der langjährige Wirtschaftsboom, den die Bundesrepublik von 1950 bis zur Ölkrise 1973 erlebte. Die günstige Wirtschaftslage brachte eine wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften mit sich, die nicht mehr ausschließlich auf dem inländischen Arbeitsmarkt gedeckt werden konnte. Die erste Anwerbevereinbarung schloss die Bundesrepublik 1955 mit Italien und förderte so die Zuwanderung italienischer Arbeitskräfte. Ähnliche Vereinbarungen wurden 1960 mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei und 1964 mit Portugal geschlossen. Hessen gehörte in dieser Zeit mit Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern zu den Bundesländern, welche die meisten Gastarbeiter anforderten. Eine beliebte Art der Rekrutierung war die Anwerbung durch Deutsche Kommissionen im Ausland, welche die Arbeiter gesundheitlich und beruflich prüften; die Einreise der Gastarbeiter organisierte die Bundesanstalt für Arbeit. Diesen Weg ging als erstes Unternehmen in DA die Deutsche Bundesbahn, die hier mit mehreren Betrieben vertreten war. Im März 1960 warb sie Arbeitskräfte in Italien und seit April 1961 in Spanien an. Auch mehrere Darmstädter Bauunternehmen stellten seit Frühjahr 1960 italienische Arbeitskräfte ein. Die Firma Schuchmann rekrutierte zusätzlich Arbeiter aus Spanien und der Türkei. Als einer der ersten Darmstädter Industriebetriebe begann die Firma Merck im April 1960 mit der Direktanwerbung von italienischen und seit 1964 von portugiesischen Arbeitern. Zur Firma Röhm & Haas (Evonik Industries AG) wurden im Februar 1962 ebenfalls italienische und auch griechische Arbeiter vermittelt. Die ausländischen Arbeitskräfte waren in der Regel zunächst in zum Betrieb gehörenden, eher ärmlich eingerichteten Gemeinschaftsunterkünften oder Privatzimmern untergebracht, für die sie oft überteuerte Mieten zahlen mussten. Eheleute oder Arbeiter, die ihre Familien hatten nachziehen lassen, kamen in eigenen Wohnungen unter. 1962 lebten ca. zwei Drittel der Gastarbeiter in Einzelunterkünften. Auch wenn die dauerhafte Niederlassung nicht das Ziel der Bundesregierung war, so trug die liberale Politik des Familiennachzugs dazu bei, dass sich die Migranten auf längere Sicht hin im Gastland einzurichten begannen. Wer einen Arbeitsplatz nachweisen konnte, erhielt in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis, die verstärkte Anwerbung von weiblichen Arbeitskräften förderte den Nachzug der Ehefrauen. So stieg die ausländische Wohnbevölkerung in DA von 2.892 Personen im Jahr 1960 auf 13.589 Personen im Jahr 1973. Unter den sechs Haupteinwanderernationen Italien, Griechenland, Spanien, Portugal Türkei und Jugoslawien dominierten die Italiener. Die Ausländerbeschäftigung im Arbeitsamtsbezirk DA stieg von 1,3 Prozent im Jahr 1960 auf 15,3 Prozent im Jahr 1978.

Lit.: Sonnenberger, Barbara: Nationale Migrationspolitik und regionale Erfahrung. Die Anfänge der Arbeitsmigration in Südhessen (1955-1967), Darmstadt 2003.