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Vieweg, Richard

Physiker
* 25.04.1896 Topfseifersdorf/Sachsen
† 20.10.1972 Kälberbronn/Schwaben
Nach dem Studium der Mathematik und Physik an den Technischen Hochschulen in Berlin und Dresden und der Promotion zum Dr. rer. techn. in Dresden 1923 war Richard Vieweg an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt tätig. Mit seiner Berufung 1935 auf die o. Professur für Technische Physik gewann die TH Darmstadt einen international angesehenen Experten für physikalische Messmethoden und Eichtechnik. In der Technischen Physik, die er an der TH Darmstadt ausbaute und zu einem großen Institut entwickelte, sah er ein unerlässliches Bindeglied zwischen Theorie und Praxis und führte somit die Ingenieurwissenschaften mit ihren naturwissenschaftlichen Grundlagen zusammen. Vorausschauend erkannte er die wachsende Bedeutung der Kunststoffe, denen er einen wichtigen Teil seiner Forschungen widmete. Im Nationalsozialismus hielt sich Vieweg von der NSDAP und ihren Gliederungen fern. Gleichzeitig engagierte er sich intensiv in der Rüstungs- und Autarkieforschung. Er leitete das 1943 ins Leben gerufene Vierjahresplaninstitut für Technische Physik der Kunststoffe, dass auf physikalische Verfahrensforschung und Messtechnik spezialisiert war. Vieweg und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren außerdem in das „Vorhaben Peenemünde“ eingebunden und befassten sich vor dem Hintergrund der Entwicklung der V2-Rakete mit Themen der Mess- und Funktechnik. Seine Kunststoffforschungen wurden außerdem u.a. vom Reichsforschungsrat gefördert, wo er selbst als „Bevollmächtigter für Kunststoffe“ eingesetzt war. Sein im Vergleich zu anderen Professoren ausgeprägter Einsatz für „kriegs- und staatswichtige“ Forschungsgebiete ermöglichte 1943 die Fertigstellung seines Institutsneubaus, dessen Grundsteinlegung 1938 erfolgt war.

Vieweg ist es zu verdanken, dass das Deutsche Kunststoff-Institut als erste zentrale Einrichtung der Kunststoff-Forschung 1957 in DA errichtet wurde. Als Rektor in den Nachkriegsjahren 1946/47 gehörte Vieweg zu den Initiatoren des Internationalen Kongresses für Ingenieurausbildung (IKIA) 1947, welcher der TH Darmstadt den Anschluss an die scientific community ermöglichte und den deutschen Ingenieuren eine Plattform bot, um die Verantwortung für ihre Rolle im Nationalsozialismus von sich zu weisen. 1951 wurde Vieweg zum Präsidenten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig und Berlin berufen. Nach seiner Pensionierung 1961 kehrte er nach DA zurück und blieb der TH Darmstadt als Honorarprofessor und wissenschaftlicher Ratgeber verbunden. Die TH Darmstadt würdigte seine wissenschaftlichen Leistungen und sein erfolgreiches Wirken für die Verbindung von Natur- und Ingenieurwissenschaften 1956 mit der Verleihung des Dr.-Ing. e. h.

Lit.: Technische Bildung in Darmstadt. Die Entwicklung der Technischen Hochschule 1836-1986, 6 Bde., Darmstadt 1995-2000, Bd. 5, S. 36; Hanel, Melanie: Normalität unter Ausnahmebedingungen. Die TH Darmstadt im Nationalsozialismus, Darmstadt 2014, S. 214, S. 249, S. 288-294, S. 311 ff.; Schmidt, Isabel: Nach dem Nationalsozialismus. Die TH Darmstadt zwischen Vergangenheitspolitik und Zukunftsmanagement (1945-1960), Darmstadt 2015, S. 435-443.