Maschinenbauingenieur
* 16.07.1881 Marktoffingen/Bayern
† 06.01.1957 Zollikon/Schweiz
Nach einem abgeschlossenen Studium der Elektrotechnik an der TH München und einem Praxisjahr bei den Siemens-Schuckert-Werken in Berlin war August Thum als Assistent an der Universität Zürich tätig, wo er 1906 promoviert wurde. An Wehrdienst und Verwundung im Ersten Weltkrieg schloss sich eine 20-jährige Praxis in verschiedenen leitenden Funktionen bei der Brown, Boveri & Cie. (BBC) an, zuerst im Stammwerk in Baden/Schweiz, später bei der deutschen Filiale in Mannheim. Von 1925 bis 1927 leitete Thum die Materialprüfungsanstalt des Unternehmens. Als nach der Emeritierung von Otto Berndt dessen breites Arbeitsgebiet aufgeteilt und an der TH Darmstadt die erste o. Professur für Werkstoffkunde in Deutschland eingerichtet wurde, gelang es, Thum als erfahrenen Experten des Fachs für den neuen, mit der Position des Direktors der Materialprüfungsanstalt (MPA) verbundenen Lehrstuhl zu gewinnen. Hier entwickelte er in den folgenden Jahren seine Werkstoff- und Gestaltungslehre. In zahllosen Versuchsreihen wies er nach, dass die richtige Konstruktion nicht allein durch Festigkeitsberechnungen und Dimensionierung, sondern durch die Eigenart des Werkstoffs, durch sein Verhalten bei wechselnder Beanspruchung und v. a. durch die „werkstoffgerechte Gestaltung“ der beanspruchten Konstruktionselemente bedingt ist. Damit erwarb sich die MPA internationales Ansehen.
Durch Wahl seiner Kollegen wurde Thum Rektor des Hochschuljahres 1932/33. Der NSDAP trat er während der Aufnahmesperre 1934, offenbar auf Vorschlag der Parteikanzlei der NSDAP, bei. In seine Amtszeit als Rektor fällt ein Großteil der politisch und rassistisch motivierten Entlassungen von Wissenschaftlern an der TH Darmstadt. Charakteristisch für sein Rektorat war eine passive Haltung zu den Entlassungen. Es setze einerseits lediglich die Vorgaben des NS-Regimes um und stieß auf eigene Initiative keine Entlassung an. Anderseits nutzte es aber auch nicht bestehende Handlungsspielräume, wie die Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen im Rahmen des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, um einzelne Professoren vor der Entlassung zu bewahren. In seiner Funktion als Leiter der MPA beschäftigte und förderte Thum wiederum hochbegabte jüdische Studierende und Doktoranden bzw. sog. „Mischlinge“, solange es gesetzlich möglich war. Während Thum der NS-Ideologie in vielen Bereichen vermutlich kritisch gegenüberstand, gehörte er im Nationalsozialismus zu den am intensivsten für die Rüstungsforschung engagierten Professoren der TH Darmstadt. Die MPA nahm für zahlreiche Auftraggeber Materialprüfungen vor, die als rüstungsrelevant eingestuft wurden, u.a. für die Vierjahresplanbehörde, das RLM oder das Kriegsministerium. Außerdem gehörte er zu den zehn Professoren der TH Darmstadt, die sich während des Zweiten Weltkriegs im Rahmen des „Vorhabens Peenemünde“ an der Entwicklung der V2-Rakete beteiligten. Der Vereinigung von Freunden der Technischen Hochschule Darmstadt – Ernst-Ludwigs-Hochschulgesellschaft –, die ihn zu ihrem Ehrenmitglied ernannte, stand er von 1935 bis 1947 vor. Für seine wissenschaftlichen Verdienste ehrte ihn die TH Stuttgart 1957 mit der Verleihung der Würde eines Dr.-Ing. e. h.
Lit: Hanel, Melanie/Schmidt, Isabel: „Zwischen Ausgrenzung und Duldung. Die Geschichte der TH Darmstadt und ihrer jüdischen Studierenden 1933-1950“, in: Aschkenas 21 (2013), S. 201-228, hier S. 214; Hanel, Melanie: Normalität unter Ausnahmebedingungen. Die TH Darmstadt im Nationalsozialismus, Darmstadt 2014, S. 97, S. 114-132, S. 140, S. 294 ff., S. 301 f., S. 343 f.