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Marguerre, Karl

Mathematiker
* 28.05.1906 Baden/Schweiz
† 16.11.1979 Darmstadt
Karl Marguerre wurde 1906 als Sohn des Diplomingenieurs Friedrich Marguerre (1878-1964) geboren. Er studierte Mathematik in Karlsruhe und Göttingen. Während eines Studienaufenthaltes in Brüssel entstand 1931 seine Dissertationsschrift, mit der er im Jahr darauf bei Theodor Pöschl (1882-1955) an der TH Karlsruhe promoviert wurde. Anschließend war er drei Jahre Assistent von Pöschl in Karlsruhe, von dem er 1935 habilitiert wurde. Nach der Habilitation begann seine berufliche Laufbahn am Institut für Festigkeitslehre der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin-Karlshorst. Marguerre war zunächst Sachbearbeiter für Statik und Elastotechnik, stieg aber rasch zum Gruppen- und schließlich Fortbildungsleiter auf. 1943 wurde er zum Professor im Reichsdienst ernannt und damit direkt dem Reichsluftfahrtministerium unterstellt. Die DVL führte kriegswichtige Forschungen im Bereich der Luftfahrt im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums durch. Direktor der DVL war von 1936 bis 1945 Günther Bock (1898-1970), der 1954 auf eine Professur für Luftfahrttechnik an die TH Darmstadt berufen wurde.

Nach Kriegsende war Marguerre in der französischen Luftfahrtforschung zunächst für das „Centre Techniques“ in Wasserburg und später für ONERA in Paris tätig. 1947 berief ihn die TH Darmstadt in einem ad personam-Verfahren als Nachfolger von Wilhelm Schlink auf den Lehrstuhl für Technische Mechanik. Eine wichtige Rolle bei der Berufung spielte Curt Schmieden (1905-1991), der Marguerre aus gemeinsamen Projekten am DVL kannte. Da Marguerre Mitglied der SA im Range eines Rottenführers war und noch kein Entnazifizierungsverfahren stattgefunden hatte, wurde er zunächst nur kommissarisch mit der Vertretung der Stelle beauftragt. Die Spruchkammer Darmstadt stufte Marguerre im Juli 1948 zunächst als „Mitläufer“ ein. Der von ihm eingelegte Widerspruch führte im Mai 1949 zur Einstufung als „Entlasteter“, wodurch er offiziell von der TH Darmstadt als Professor berufen werden konnte. Karl Marguerre war dreimal Dekan der Fakultät für Mathematik und Physik. Im Studienjahr 1966/67 war er Rektor der TH Darmstadt.

Das vielseitige wissenschaftliche Werk Marguerres, das sich durch mathematische Klarheit mit praxisnaher, ingenieurgerechter Anwendung auszeichnet und Forschungsergebnisse ebenso wie geschätzte Lehrbücher zur Elastizitätslehre, zur Elastomechanik der Platten und zur Schwingungslehre umfasst, wurde u. a. 1962 durch seine Aufnahme in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle gewürdigt. Besondere Verdienste erwarb er sich außerdem bei beginnendem Einsatz von EDV-Anlagen um die Methode der Übertragungsmatrizen.

Daneben gehörte Marguerres Interesse der klassischen Musik. Bereits 1948 gründete er das Hochschulorchester der TH Darmstadt, 1951 folgte die Gründung des Hochschulchores. In zahlreichen Konzerten in DA und an vielen anderen Orten hat er es als Dirigent verstanden, Chor und Orchester der TH Darmstadt durch seinen mitreißenden Schwung zu erstaunlichen Leistungen anzuspornen. Für viele Studierende wurde das Musizieren unter Marguerre, dem er sich auch nach seiner Emeritierung 1974 weiter intensiv widmete, zu einem prägenden Erlebnis. Die Musik – hier galt seine Liebe v. a. Mozart – war für Marguerre mehr als eine Nebenbeschäftigung. Musikwissenschaftliche Aufsätze und Bearbeitungen klassischer Werke zeugen von seinen profunden Kenntnissen auch auf diesem Gebiet. Im Rahmen der Feierlichkeiten „100 Jahre TH Darmstadt“ erhielt er am 21. Oktober 1977 die Erasmus-Kittler-Medaille der TH Darmstadt durch Präsident Helmut Böhme (1936-2012) verliehen. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Alten Friedhof in DA.

Lit.: Walter Schnell: Marguerre, Karl, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16, Berlin 1990, S. 171; Schmidt, Isabel: Nach dem Nationalsozialismus. Die TH Darmstadt zwischen Vergangenheitspolitik und Zukunftsmanagement (1945-1960), Darmstadt 2015.