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Maschinen- und Apparatebau

In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg stellte – neben der chemischen Industrie – der Maschinen- und Apparatebau mit mehr als 3.000 Beschäftigten den wichtigsten Wirtschaftszweig DAs dar. Allein die 1866 gegründete Herdfabrik der Gebrüder Roeder, später Gebrüder Roeder AG, die neben Öfen und Herden auch Stalleinrichtungen produzierte, zählte damals rund 1.000 Arbeiter und Angestellte. Die wohl älteste und lange Zeit bedeutendste Darmstädter Maschinenfabrik war die „Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt Aktiengesellschaft“; sie wurde um 1856 gegründet und stellte u. a. stationäre Dampfmaschinen, Lokomobile, hydraulische Maschinen, Fabrik- und Mühleneinrichtungen sowie verschiedene Arten von Werkzeugmaschinen her. Seit 1871 spezialisierte sich das Unternehmen auf den Bau von schmalspurigen Lokomotiven, konnte sich damit aber nicht durchsetzen und ging im Krisenjahr 1879 in Konkurs. Einen Schwerpunkt der Darmstädter Maschinenindustrie bildete daneben die Produktion landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen, die angesichts der fortschreitenden Mechanisierung der Landwirtschaft gute Absatzmöglichkeiten versprachen. Auf diesem Gebiet waren um 1870 die Firmen S. Blumenthal (Dampfdreschmaschinen und Wasserhebemaschinen), Jean Lutz (Hand- und Göpeldreschmaschinen, Putzmühlen), Kleyer & Beck (Maschinen für Bierbrauereien), Actien-Maschinenbau-Anstalt vorm. Venuleth & Ellenberger, hervorgegangen aus der 1864 gegründeten Firma H. Venuleth (Maschinen für Branntweinbrennereien) und Fr. Heißner (Maischmaschinen) tätig. Die Fabrik von Fritz Buschbaum beschäftigte sich mit der Herstellung von Maschinen für die Metallverarbeitung, und die Dampfkesselfabrik vorm. Arthur Rodberg AG, gegründet 1868, stellte neben Kesseln aller Art auch Hochdruckrohrleitungen, Wasserreiniger und Apparate für alle Industriezweige in geschweißter und genieteter Ausführung her.

Drei Unternehmen, allesamt zeitweise als Aktiengesellschaften geführt, verdienen eine besondere Würdigung, übertrafen sie doch hinsichtlich Umsatz und Beschäftigtenzahl spätestens seit 1910 alle anderen an Bedeutung: Die Goebel AG, die Schenck AG und die Motorenfabrik Darmstadt AG. 1856 trat Georg Goebel (1830-1900) als gleichberechtigter Teilhaber in die 1851 in der Schützenstraße gegründete Maschinenfabrik seines späteren Schwiegervaters Peter Gandenberger ein, die sich damals hauptsächlich mit der Herstellung und der Reparatur von Feuerspritzen und Pumpen befasste. Goebel, der sich während eines mehrjährigen Aufenthalts in Paris umfangreiche Kenntnisse im Maschinenbau angeeignet hatte und 1864 die Leitung der Firma übernahm, setzte eine Umstellung der Produktion auf Fahrkartenautomaten durch und hatte damit auf dem europäischen Markt großen Erfolg. 1888 siedelte das Unternehmen, inzwischen unter der Firma Gandenberger’sche Maschinenfabrik Georg Goebel, auf das heutige Gelände am Hauptbahnhof über. Gleichzeitig wurde die Herstellung von Präzisionsmaschinen für die Papierrollen-Industrie aufgenommen. Als dritter Bereich kam später die Herstellung von Spezial-Druckmaschinen, u. a. für Briefmarken, hinzu und im Ersten Weltkrieg bis 1920 die Herstellung von Flugzeugmotoren (Luftfahrtindustrie). 1927 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft unter der Firma Goebel AG, unter Leitung von Wilhelm Köhler. Fast 150 Jahre nach ihrer Gründung meldete die nunmehrige Goebel GmbH im Jahr 2000 Insolvenz an und wurde nach erfolgreicher Sanierung in die heutige „Goebel Schneid- und Wickeltechnik GmbH“ und die „Goebel Graphic Machines GmbH“ aufgeteilt.

1881 erwarb der aus Herborn im Dillgebiet gebürtige Carl Schenck von der Armaturenfabrik Gebrüder Reuling die in DA zum Verkauf stehende Gießerei und gründete die Carl Schenck Eisengießerei und Waagenfabrik Darmstadt. Im gleichen Jahr erlangte er ein Patent auf einen Kartendrucker für Laufgewichtswaagen, der fortan zusammen mit Gleiswaagen den Schwerpunkt der Produktion bildete. Ein drittes Standbein verschaffte sich das Unternehmen seit 1894 mit der Herstellung von Materialprüfmaschinen.1914 war Schenck mit rund 750 Beschäftigten die größte Maschinenfabrik DAs.

1906 wurde, unter maßgeblicher Beteiligung des Frankfurter Bankiers Jakob Wolff, die Motorenfabrik Darmstadt Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 500.000 Mark gegründet. Sie zählte bald zu den führenden Herstellern von Lokomobilen und liegenden Motoren für Gas und Benzin sowie von Sauggasmotoranlagen in Deutschland. Daneben wurden selbstfahrende Bandsägen hergestellt. 1947 wurde die Modag in eine GmbH umgewandelt, vom bisherigen Großaktionär Demag in Duisburg als alleiniger Aktionär geleitet und 1960 als Demag AG, Werk DA endgültig übernommen. Die Produktion von Dieselmotoren wurde 1964 eingestellt.

Den wirtschaftlichen Krisen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und insbesondere der Weltwirtschaftskrise um 1930/33 fielen zahlreiche der alteingesessenen Darmstädter Maschinenfabriken zum Opfer, aber auch die erst 1923 gegründete Hessische Motorenbau AG (HEMAG), die auf ihrem Firmengelände an der Feldbergstraße u. a. Motorzugmaschinen mit kompressorlosen Dieselmotoren herstellte. Unternehmen wie Goebel, Schenck und die Motorenfabrik Darmstadt AG mit einer spezialisierten Angebotspalette hatten zwar ebenfalls unter diesen Krisen gelitten, überstanden sie aber relativ unbeschadet, um dann nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre ihre erfolgreichsten Jahre zu erleben. Die Wirtschafts- und Strukturkrise der 1970er Jahre traf die Maschinenindustrie fast ebenso schwer wie die Weltwirtschaftskrise rund vier Jahrzehnte zuvor. 1954 existierten in DA noch 20 – überwiegend kleine und sehr spezialisierte – Maschinenfabriken. Nur vier von ihnen jedoch hatten bereits vor dem Ersten Weltkrieg bestanden. Heute sind es noch elf Unternehmen, die aber, gemessen an Umsatz und Beschäftigtenzahl, nicht mehr die herausragende Bedeutung für die Darmstädter Wirtschaft besitzen.

Lit.: Historisch-biographische Blätter. Industrie, Handel und Gewerbe. Das Großherzogtum Hessen, 1. Lieferung, 1906/1911; Uecker: Industrialisierung; Schenck Nachrichten. Sonderausgabe der Werkzeitschrift zum Firmenjubiläum, Nr. 9, Oktober 1981; Eisenbach, Ulrich (Hrsg.): Von den Anfängen der Industrialisierung zur Engineering Region. 150 Jahre IHK Darmstadt Rhein Main Neckar, Darmstadt 2012; Schmid, Josef: Freiheit und soziale Verantwortung. Der Unternehmer Wilhelm Köhler von 1897 bis 1962, Göttingen 2016.