Stadtlexikon Darmstadt

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Institut Wohnen und Umwelt (IWU)

(Rheinstraße 65) In seiner Regierungserklärung vom 22.10.1969 hatte der damalige hessische Ministerpräsident Osswald auf die Bedeutung und Dringlichkeit der Probleme von Wohnungs- und Städtebau hingewiesen und neue Wege zur Lösung dieser Probleme angekündigt. Unmittelbar darauf berief er einen Gründungsausschuss, der eine sozialpolitisch orientierte Zielsetzung des Instituts und eine interdisziplinäre Herangehensweise empfahl. Das IWU nahm am 23.07.1971 seine Arbeit auf. Es erhielt die Rechtsform einer GmbH, deren Gesellschafter das Land Hessen und die Stadt DA wurden. In einer drei Jahre dauernden Experimentierphase brachten die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre verschiedenen Disziplinen und Erfahrungen hinaus auch sehr unterschiedliche und teilweise gegensätzliche wissenschaftstheoretische und wissenschaftspolitische Positionen ein.

Eine neue wissenschaftliche Geschäftsführung und ein Teil der seinerzeit eingestellten Mitarbeiter fanden dann erst ab 1975 nach der Experimentierphase zu einem Grundkonsens zusammen: Das IWU müsse sich schwerpunktmäßig um die empirische Überprüfung konkreter Hindernisse, Chancen und Modelle zur Bewältigung wohnungs- und städtebaulicher Probleme bemühen und Lösungsvorschläge an die Öffentlichkeit und an staatliche Instanzen herantragen. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen für ein gemeinsames strategisches Konzept und eine funktionierende interdisziplinäre Kooperation. Die „sozialpolitische“ Motivation ergab sich nicht zuletzt aus der erfolgreichen bundesdeutschen Wohnungspolitik der Nachkriegszeit, durch welche die allgemeine Wohnungsnot beseitigt worden war, allerdings auch auf Kosten einer zunehmend wahrgenommenen „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Mitscherlich), und der Wohnungsmangel sich nun wesentlich auf Einkommensschwache konzentrierte. Diese sozialpolitische Ausrichtung wurde nunmehr mit strengen Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit der Methodik und der Ergebnisse verknüpft. Die Qualität der Veröffentlichungen des IWU wuchs, diverse innovative Konzepte wurden entwickelt. Rasch bildete sich ein festes Netzwerk zu Legislative und Exekutive in Bund, Ländern und Gemeinden heraus, das IWU begann, die Politik und die öffentliche Meinung vor allem in wohnungspolitischen Fragen zu beeinflussen.

Ein weiterer Aspekt ergab sich, als das Land Hessen, motiviert von der u. a. an der Universität Kassel entwickelten Konzeption einer „Energiewende“, die „Energieeinsparung in Gebäuden“ forcieren wollte. Ab 1985 wurde das Aufgabenfeld des IWU von der Gesellschafterversammlung entsprechend erweitert. Das IWU konzentrierte sich hier auf die Entwicklung in die Praxis umsetzbarer Lösungsansätze, wobei vor allem das Niedrigenergiehaus und das Passivhaus (Passivhäuser) zu nennen sind. Um die Vorteile der Energieeinsparung den Investoren nahe zu bringen, wurde das „Impulsprogramm Hessen“ gegründet und an das IWU angegliedert. Mit der Verbreitung des Gedankens der „Nachhaltigkeit“ bot es sich gerade angesichts der interdisziplinären Tradition des IWU an, in den Forschungen das Zusammenwirken von sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit zu erforschen und entsprechend übergreifende Konzepte für ein nachhaltig ausgerichtetes strategisches Management in Politik und Wirtschaft zu entwickeln. Daraus ergaben sich auch stärkere Kooperationen mit der Bau- und Wohnungswirtschaft. Die Verlagerung der Aufmerksamkeit von der Neubau- zur Bestandspolitik und die Ausdifferenzierung der regionalen Wohnungsmärkte gaben solchen strategischen, portfolio-orientierten Ansätzen weiteren Auftrieb. Im Übrigen verbreiterte sich das Spektrum der Auftraggeber und Kooperationsnetze auf die EU-Ebene.

Seit den 10er Jahren des 21. Jahrhunderts beschäftigt sich das IWU mit Fragen des Wohnungsmarktes und der Wohnungspolitik, der energetischen Gebäudesanierung und technologischen Optimierung und Strategien des Klimaschutzes im Gebäudebereich. Soziologische und ökonomische Fragestellungen spielen aktuell in allen Bereichen eine wichtige Rolle in der Forschung. Weiterhin arbeitet das Institut an einer Intensivierung der Vernetzung mit wissenschaftlichen Institutionen und Praxispartnern auf lokaler bis hin zur internationalen Ebene. Bislang befand sich der Sitz des Instituts in der Annastraße (Merck-Villa) in Bessungen. 2011 erfolgte der Umzug in ein Verwaltungsgebäude aus den 1960er Jahren in der Rheinstraße. Das Gebäude wurde nach Passivhaus-Komponenten energetisch saniert, was zur Reduktion von Wärme- und Stromverbrauch führte.

Lit.: Wissenschaftsstadt Darmstadt: Wissenschaft in Darmstadt, hrsg. von der TU Darmstadt, 3. Auflage, Darmstadt 2001, S. 109-112.