Stadtlexikon Darmstadt

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Straßenbahn

Die Darmstädter Stadtverwaltung erwog bereits 1885 den Bau einer Straßenbahn, um dem im Zuge der Industrialisierung und Ausdehnung der Stadt gestiegenen Mobilitätsbedürfnis Rechnung zu tragen. Man übertrug die Errichtung der Dampfstraßenbahn einem privaten Konsortium. Am 30.08.1886 wurden die zwei Vorortbahnen nach Eberstadt und Griesheim eröffnet, am 30.04.1890 folgte die Strecke nach Arheilgen. Täglich transportierte die Straßenbahn Scharen von Berufspendlern und Schulkindern nach DA und zurück. Seit 1896 fuhren auf einem eigenen Marktwagen Waren von Griesheim zum Darmstädter Markt. Die Dampfstraßenbahn war aufgrund ihrer Größe und Schwerfälligkeit jedoch nicht für den Innenstadtverkehr geeignet. Deshalb beschloss die Stadtverordnetenversammlung 1895 den Bau einer elektrischen Straßenbahn. Errichtet wurde sie von der Firma Siemens & Halske. Am 23.11.1897 erfolgte die feierliche Einweihung, am nächsten Tag die Aufnahme des fahrplanmäßigen Betriebs mit zwei Linien: HauptbahnhöfeBöllenfalltor und Taunusstraße – Hermannstraße. In den ersten vier Betriebsmonaten wurden bereits über 500.000 Fahrgäste befördert, 1903/04, als eine dritte Linie Fasanerie – Heidelberger Straße eröffnet wurde, waren es bereits 3,5 Millionen. Am Böllenfalltor errichtete Stadtbaumeister Stephan Braden eine Wagenhalle mit Werkstatt.

Das Nebeneinander von Dampfbahn und elektrischer Straßenbahn führte bald zu Konflikten zwischen der Stadt und der Süddeutschen Eisenbahn Gesellschaft (SEG) als Eignerin der Dampfbahn, weil die Dampfbahn die Hauptverkehrsadern befuhr und die Elektrische auf enge Nebenstraßen ausweichen musste. Nur auf der Rheinstraße war nach langen Verhandlungen ein Gemeinschaftsbetrieb zustande gekommen. Ansonsten gab es keine Zusammenarbeit in betrieblicher und tarifpolitischer Hinsicht. Die geplante Errichtung des neuen Hauptbahnhofs und die daraus resultierende Neuordnung des städtischen Nahverkehrssystems zwang beide Straßenbahnbetreiber zum Handeln. Die Bemühungen führten im April 1912 zur Gründung der Hessischen Eisenbahn-Aktiengesellschaft (HEAG). Sie übernahm die elektrische Straßenbahn mit drei Linien (Länge 13,13 km) und 42 Fahrzeugen und die drei Dampfbahnlinien (17,40 km) mit 8 Lokomotiven und 43 Wagen, mit der Aufgabe, diese auf elektrischen Betrieb umzustellen. 1913 wurden in rascher Folge die Strecke Schloss – Ostbahnhof sowie einige Erweiterungen bestehender Strecken in Betrieb genommen.

Nachdem die Dampfbahn-Strecke nach Eberstadt 1914 elektrifiziert werden konnte, stoppte der Erste Weltkrieg die bereits angelaufenen Planungen für die Strecken nach Arheilgen und Griesheim. Erst 1926 konnte auf beiden Strecken der elektrische Betrieb aufgenommen werden. Zu diesem Zwecke wurden 1926 in Arheilgen und in Griesheim Stationsgebäude und Wagenhallen errichtet, die heute zum Teil erhalten sind und bürgerschaftlich-kulturell genutzt werden. Weitere Strecken wurden 1926 bis 1929 in Betrieb genommen: Fasanerie – Oberwaldhaus, Schlossgartenplatz – Heinheimer Straße und Hauptbahnhof – Rodensteinweg. Durch die damit verbundene starke Ausweitung des Fuhrparks war die alte Wagenhalle am Böllenfalltor ebenfalls längst zu klein geworden. 1927 wurde dort eine neue Hauptreparaturwerkstätte errichtet.

Im Mai 1936 konnte die Bahnlinie nach Seeheim und Jugenheim ihren Betrieb aufnehmen. Die bereits genehmigte Weiterführung nach Alsbach sollte bis 1979 auf sich warten lassen, da auf Grund des großen Stahlbedarfs der Rüstungsindustrie keine Schienen für den Bau verfügbar waren. 1936 hatte das Straßenbahnnetz der HEAG mit einer Streckenlänge von 39,6 km, die mit 61 Trieb- und 49 Beiwagen befahren wurden, seine größte Ausdehnung erreicht. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte bald zu Einschränkungen des Verkehrs, weil zur Gewinnung kriegswichtigen Kupfers viele Strecken durch Demontage der Fahrleitungen stillgelegt wurden. Wie im Ersten Weltkrieg ersetzten ab September 1939 Frauen als Schaffnerinnen die zum Kriegsdienst eingezogenen Männer. Daneben waren ab 1942 „Arbeitsmaiden“ des Reichsarbeitsdiensts im Einsatz. Für die Streckenunterhaltung wurden Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter eingesetzt. Nach der Zerstörung DAs am 11./12. September 1944 (Brandnacht) kam der Straßenbahnverkehr fast vollständig zum Erliegen. Nur in der Innenstadt verkehrten ab Mitte Oktober 1944 wieder Straßenbahnen.

Nach Kriegsende konnte im Mai 1945 die erste Teilstrecke auf der Linie 8 zwischen Moosbergstraße und Seeheim wieder in Betrieb genommen werden. Bis Ende 1946 verkehrten auch die übrigen Linien wieder. In den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren wurde das Netz der elektrischen Straßenbahn durch Oberleitungsbusse ergänzt (Omnibusverkehr). Die 1950er Jahre waren in DA bestimmt durch Diskussionen über die Abschaffung der Straßenbahn, die dem stark ansteigenden Individualverkehr und dem Ausbau der autogerechten Stadt im Weg stand. Viele deutsche Städte schafften ihre Straßenbahnen zugunsten des Busverkehrs ab. Auch in DA wurden einige Straßenbahnlinien durch Busse ersetzt, so im Mai 1960 die Linie 5 (Heinheimer Straße – Schloss – Ostbahnhof), 1969/70 die Linie 6 zum Oberwaldhaus und in die Waldkolonie und 1986 die Strecke vom Schloss zum Ostbahnhof. Trotz dieser Stilllegungen blieb die Straßenbahn das Rückgrat des Darmstädter Nahverkehrs, das Streckennetz wurde um einige Strecken erweitert: 1979 ging die Verlängerung der Linie 8 nach Alsbach in Betrieb, im Dezember 2003 nahm die Straßenbahn nach Kranichstein ihren Betrieb auf, bis 2011 folgte der zweigleisige Ausbau und die Verlängerung der Strecke nach Arheilgen. Geplant sind Straßenbahnanbindungen an die Lichtwiese und zu den ehemaligen Konversionsflächen an der Heidelberger Straße. Keine Zukunft gibt es hingegen derzeit für die geplanten Straßenbahnen nach Weiterstadt, Roßdorf und Groß-Zimmern. Vorrangschaltungen an Ampeln, ein eigenes Gleisbett auf vielen Strecken, Niederflurtechnik und digitale Verkehrsleittechnik sichern den Straßenbahnen ein rasches Fortkommen. Das Netz der Straßenbahn umfasst heute neun Linien und ist etwa 41 km lang.

Lit.: Bürnheim, Hermann / Burmeister, Jürgen: Bahnen und Busse rund um den Langen Ludwig. Stadtverkehr in Darmstadt, 4. Aufl., Düsseldorf 1997; Engels, Peter: 100 Jahre HEAG. Chronik 1912-2012, Darmstadt 2012; „Ich bin immer gern gefahren“. Darmstädter Straßenbahnfahrer im Wandel der Zeit, hrsg. HEAG Mobilo GmbH, Darmstadt 2014.