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Kirchengeschichte Eberstadts

(s.a. Kirchengeschichte Darmstadts) Auch Eberstadts Kirchengeschichte wurde nicht unerheblich durch grundherrschaftliche Faktoren mit einer vielfältigen Durchsetzung mit fremden Herrschaftsrechten bestimmt. Ein Beispiel dafür ist die mehrfach (1523, 1604, 1851, 1912) umgebaute (Erbauung des 1851 erhöhten Turms: 1523) und zuletzt 1961 auch durch Beseitigung des Jugendstils Friedrich Pützers neugestaltete, seit Juni 1958 Dreifaltigkeitskirche genannte „Kirche zu Eberstadt“ auf der Sanddüne, deren Erbauung in der Karolingerzeit um 800 vermutet werden kann. Das mehrfach behauptete Laurentius-Patrozinium ist jedoch nicht belegt. Der erste urkundliche Nachweis eines Eberstädter Pfarrers findet sich im Testament des mit der Erbtochter Elisabeth von Weiterstadt verheirateten, 1264 verstorbenen Konrad II. Reiz von Breuberg (Frankenstein, Herren von), der diesem Geld für Seelenmessen am Jahresgedächtnis aussetzte. Über Elisabeth kam Eberstadt an die Herrschaft Frankenstein, die bis ins 17. Jahrhundert auch die Kirchengeschichte bestimmte. Der erste namentlich bekannte Pfarrer ist ein Adliger namens Berchthold, der 1333 vor einem Notar erklärte, dass er ordnungsgemäß bestellter Pfarrer in Eberstadt sei, da ihm „der Edelmann Herr Konrad von Franckenstein, Ritter und Patron der Pfarrkirche zu Eberstat“ die dortige Kirche übertragen habe. 1334 begegnet dort neben der „pastorie“ auch eine „vicarie“. 1482 präsentiert Philipp von Frankenstein aus der älteren Linie den Pfarrer Johann Vetter zum Dienst an den Altären der seligen Jungfrau Maria, des Heiligen Sebastian und der Heiligen Katharina in Eberstadt, was (neben den Grabstätten der älteren Linie derer von Frankenstein im Chorraum) wohl auf eine größere dortige Kirche schließen lässt. Von Anfang an hat Eberstadt im heutigen Darmstädter Stadtgebiet (neben seiner Zugehörigkeit zur Mark Pfungstadt und zur Adelsherrschaft Frankenstein) eine Sonderentwicklung mitgemacht, die sich auch in der kirchlichen Verwaltungseinteilung niederschlug: Unterstanden alle Pfarrkirchen des heutigen DA dem Archidiakonat des Propstes von St. Viktor in Mainz und zählten die übrigen Orte alle zum Landkapitel Groß-Gerau, so gehörte Eberstadt (bis zur Reformation) zum Landkapitel Bensheim.

Da die Herrschaft Frankenstein eher als ein „Bündel von Grundrechten und Besitztiteln“ (Friedrich Battenberg) denn als eine im modernen Sinne eigenständige Herrschaft charakterisiert werden kann, waren die Frankensteiner auch bei der Wahrnehmung ihrer landesherrlichen Kirchenhoheit auf eine Verständigung mit den benachbarten bzw. sie überlagernden Herrschaften (z. B. Landgraf von Hessen als des Zentherrn, der auch die Kollatur in Darmstadt, Arheilgen und Wixhausen wahrnahm) angewiesen, wie umgekehrt auch auf kirchlichem Gebiet der landgräflichen Autorität dadurch Grenzen gesetzt wurden. Dies galt insbesondere auch für die von den Frankensteinern in Eberstadt und Nieder-Beerbach ausgeübte, sich in der Pfarrstellenbesetzung, Finanzverwaltung und Baulastverpflichtung der Kirchen äußernden Kirchenherrschaft („ius episcopale“) als ein wichtiges, auch politisch bedeutsames Herrschaftsinstrument in ihren Dörfern. Darauf weisen bis heute in der Eberstädter Kirche z. B. Frankensteiner Wappen, der von Philipp von Frankenstein gestiftete Abendmahlskelch von 1506, die 1512 gegossene Glocke St. Anna, die Erbauung des Turmes 1523 und eine Tafel von 1604 ausdrücklich hin.

Die kath. gebliebene Herrschaft Frankenstein widersetzte sich 1536 der Aufforderung des hessischen Landgrafen, in der Herrschaft „das Wort Gottes predigen zu lassen und die Messe samt allen Zeremonien abzuschaffen“; 1538 weigerte sie sich, eine Kirchenvisitation durch den Darmstädter Superintendenten zuzulassen. Erst 1542 wurde auf Druck Hessens als des Zentherrn, der zwar die Konfession und die Ordnung des Gottesdienstes bestimmen, aber nicht den Pfarrer einsetzen konnte, der erste ev. Pfarrer (Michael Scheffer) von dem nach wie vor kath. Hans von Frankenstein in Eberstadt eingesetzt. Auch nach der Reformationseinführung hielten die Frankensteiner an ihrem Recht der Kollatur (Pfarrstellenbesetzung) fest; die katholischen Ortsherren setzten nach wie vor den (jetzt allerdings ev.) Eberstädter Pfarrer ein; sie behielten auch ihren Ehrenplatz und das Begräbnisrecht in der Eberstädter Kirche. Ja: Nach dem von den Protestanten verlorenen Schmalkaldischen Krieg ersetzten die Frankensteiner 1549 die lutherischen durch kath. Pfarrer, was aber auf Befehl Hessens 1553 wieder rückgängig gemacht wurde. So wurde in Eberstadt 1553 zum zweiten Mal die Reformation eingeführt. Bis zum Verkauf der Herrschaft Frankenstein an Hessen-Darmstadt blieb die Patrimonialherrschaft der Frankensteiner noch weitgehend unabhängig; sie übten das Recht der Pfarrstellenbesetzung, das geistliche Aufsichtsrecht und die Kontrolle über die kirchliche Verwaltung (z. B. Abhörung der Kastenrechnung) weiter aus. Ludwig von Frankenstein († 1606) und seine Gattin sind die letzten in der Eberstädter Kirche begrabenen Frankensteiner. Auch verdankte Eberstadt die Gründung einer eigenen Schule der Wahrnehmung solcher Rechte. Der von der Darmstädter Regierung in Pfungstadt abgesetzte Schulmeister Jost Seberger wurde 1578 von Ludwig von Frankenstein gegen den Willen des Darmstädter Superintendenten und „Vaters der hessen-darmstädtischen Volksschule“ (Wilhelm Diehl) Johannes Angelus zum Lehrer in Eberstadt eingesetzt. Im gleichen Jahr verhinderten die Frankensteiner eine Kirchenvisitation durch den Darmstädter Superintendenten in Eberstadt dadurch, dass sie die Kirchenschlüssel und -rechnungen auf die reichsunmittelbare Burg Frankenstein verbringen ließen.

Im Dreißigjährigen Krieg wurde auch das Eberstädter Kirchenwesen in Mitleidenschaft gezogen. Durch „Kollektieren“ in Deutschland bis nach Wildungen, Nürnberg, Augsburg, Ulm, Heidelberg und Speyer durch den Schreinergesellen Johann Stoffel wurden die Mittel zu einer umfänglichen Kirchenrenovierung 1688 aufgebracht. 1695 wurde ein neues Pfarrhaus (Pfarrhof) gebaut. Einen nicht nur sozialgeschichtlich wichtigen Einblick in den dürftigen Zustand Eberstadts vermittelt Pfarrer Johannes May 1791. Durch Jagd- und Wildschäden noch verstärkte Ernteausfälle führten zu einer von „Leichtsinn, Müßiggang und Trunk“ begleiteten Verschuldung der meisten Einwohner. 1950 wurde die bisher eine Eberstädter ev. Kirchengemeinde in zwei Pfarrbezirke aufgeteilt; daraus gingen zunächst die Dreifaltigkeits- und die Christuskirchengemeinde und (als Abspaltung von Ersterer) später die Kirchengemeinde Eberstadt-Süd (Ev. Kirchengemeinden) hervor.

Lit.: Demandt, Barbara: Mittelalterliche Kirchenorganisation in Hessen, Marburg 1966; Weißgerber, Wolfgang: 1000 Jahre Eberstädter Kirchengeschichte, Darmstadt 1973; Ders.: Eberstädter Geschichten aus zwölf Jahrhunderten, Darmstadt 1982 (Nachdruck: Darmstadt 2004); Weißgerber, Eberhard: Die Dreifaltigkeitskirche in Eberstadt, Groß-Umstadt 1997; Darmstadts Geschichte. Fürstenresidenz und Bürgerstadt im Wandel der Jahrhunderte, von Friedrich Battenberg, Jürgen Rainer Wolf, Eckhart G. Franz, Fritz Deppert. Gesamtredaktion: Eckhart G. Franz, Darmstadt 1980; Battenberg, Friedrich: Burg und Herrschaft Frankenstein in vormoderner Zeit. In: Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde, NF 60, 2002, S. 7-28; Kraft, Erich (Red.), Vor 350 Jahren – Das Frankensteiner Land wird hessisch, Darmstadt 2012.