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Hoftheater, Großherzogliches

Nach einer kurzen Blüte des höfischen Barocktheaters gab es lange Zeit in DA kaum nennenswerte Theateraufführungen. Das änderte sich erst unter Großherzog Ludewig I., der ein großer Theaterliebhaber war. Zu seinem Hoftheater kam er mehr durch Zufall. Als die in der „Alten Post“ am Weißen Turm auftretende Schauspielergesellschaft des Prinzipals Xaver Krebs in finanzielle Schwierigkeiten geriet, übernahm Ludewig die gesamte Bühne mit Personal und allen Schulden, um sie vom 24.05.1810 an als „Großherzogliches Residenz-Theater“ weiterzuführen. Das alte Opernhaus genügte ihm bald nicht mehr. Bereits 1819 wurde das von Georg Moller geschaffene neue Hoftheater eröffnet, das mit seinen Ausmaßen und der vom genialen Bühnenmeister Ignatz Dorn (1782-1856) geschaffenen Theatertechnik größte Bühnenspektakel ermöglichte. Mit fast 2.000 Zuschauerplätzen sollte es ein Haus für ein breiteres Publikum sein. Das Interesse des Großherzogs galt ausschließlich der Oper, um die er sich in allen Einzelheiten kümmerte; die musikalische Einstudierung nahm er meist selbst vor. Obwohl das Schauspiel weniger gefördert wurde, konnte es dem Vergleich mit anderen Bühnen standhalten. 1828/29 waren zwei berühmte Schauspielvirtuosen engagiert: Therese Peche und Carl Seydelmann.

Ludwig II., seit 1830 an der Regierung, teilte nicht die Theaterleidenschaft seines Vaters. Die Oberleitung überließ er seiner Gemahlin Wilhelmine, die als Theaterdirektor Karl Theodor Küstner engagierte, einen nach seinem Weggang 1833 aus DA in München und Berlin sehr erfolgreichen Theaterleiter. In den Folgejahren kam es zeitweilig zur Schließung, zu vorübergehender Verpachtung und verschiedenen Provisorien. Aufsehen erregten 1845 und 1846 die Gastspiele der „schwedischen Nachtigal“ Jenny Lind. Erst der Regierungswechsel 1848 brachte einen Neubeginn. Ludwig III., ein großer Freund des Balletts, ernannte den Ballettmeister Carl Tescher zum Hoftheaterdirektor. Die Tanzgruppe hatte zeitweise 66 Mitglieder. Besondere Attraktionen waren prunkvolle Opernaufführungen mit ausufernden Balletteinlagen. Am glänzenden Erfolg hatten auch die effektvollen Einfälle des Maschinenmeisters Carl Brandt Anteil.

Einen dramatischen Einschnitt brachte das Jahr 1871, als am 24.10. das Theatergebäude bis auf die Außenmauern ausbrannte. Mit der Errichtung eines Neubaus wurde zunächst Gottfried Semper beauftragt, doch seine Pläne wurden nicht verwirklicht. Stattdessen wurde der Mollerbau weitgehend in den alten Dimensionen wieder aufgebaut. Der Schnürboden wurde erhöht, der Zuschauerraum für 1.200 Zuschauer im Neorenaissance-Stil gestaltet. Während der Zeit des Wiederaufbaus fanden die Aufführungen im alten Landgrafentheater (Barocktheater) statt, für das Carl Beyer neue prachtvolle Ausstattungen schuf. Am 19.10.1879 wurde das neu errichtete Hoftheater festlich wiedereröffnet. Neuer Theaterdirektor war Theodor Wünzer, der v. a. dem Schauspiel zu einer Blütezeit verhalf. In der Oper machte Hofkapellmeister Willem de Haan die Musikdramen Richard Wagners mit einem guten Sängerensemble, dem u. a. der erfolgreiche Heldentenor Ludwig Bär angehörte, auf der Darmstädter Bühne heimisch. Für effektvolle Dekorationen sorgte der Architekt Hermann Müller. Mit Beginn der Spielzeit 1888/89 erstrahlte das Hoftheater erstmals in elektrischem Licht (Stromversorgung). Unter der Direktion von Emil Werner (Theaterdirektor 1894-1912) wurde solides, der Tradition verpflichtetes Theater geboten. Zu Publikumslieblingen über Jahrzehnte hin entwickelten sich Käthe Gothe, Hans Baumeister und Curt Westermann.

Während der Spielzeit 1904/05 wurde das Theatergebäude erneut umgebaut, da schon bald nach dem Wiederaufbau Mängel deutlich geworden waren. Insbesondere wurde die Bühnentechnik erneuert und der Zuschauerraum stark verändert. Mit dem stilisierten Bühnenbild von Kurt Kempin zu Oscar Wildes „Salome“ 1907 bekam das Darmstädter Publikum anstelle der bisher gezeigten illusionistischen Kulissenmalerei eine neue Dekorations- und Bühnenform zu sehen. Durchsetzen konnte sich modernes Theater aber erst ab 1912 unter dem Theaterdirektor Paul Eger. Von da an nahm auch Großherzog Ernst Ludwig an seinem Hoftheater lebhaften Anteil. Zu den Opern „Aida“ und „Parsifal“ schuf er selbst Dekorationsentwürfe. In den Jahren 1913 und 1914 fanden „Frühlingsfestspiele“ statt, vorwiegend im Zeichen Richard Wagners, die überregional großes Aufsehen erregten. Generalmusikdirektor war 1914 bis 1918 der international hoch angesehene Felix Weingartner, ihm zur Seite der junge Erich Kleiber als Kapellmeister. 1918/19 vollzog sich der Wandel vom Hof- zum Landestheater.

Lit.: Knispel, Hermann: Das Großherzogliche Hoftheater zu Darmstadt von 1810-1890, Darmstadt und Leipzig 1891; Kaiser, Hermann: Das Großherzogliche Hoftheater zu Darmstadt 1810-1919, Darmstadt 1964; Kramer, Ulrike: Schauspielmusik am Hoftheater in Darmstadt 1810-1918, Beiträge zur Mittelrheinischen Musikgeschichte, Nr. 41, Mainz 2008.